Rz. 353
Nach dem Wortlaut der §§ 383 ZPO, 52 StPO sind Ehegatten, Lebenspartner, Verlobte und diejenigen Personen zur Zeugnisverweigerung berechtigt, die mit der Partei, dem Beteiligten oder dem Angeklagten in gerader Linie verwandt oder verschwägert beziehungsweise in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren.
Rz. 354
All diese Voraussetzungen sind innerhalb der nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht gegeben. Die Partner sind weder miteinander verlobt, noch stehen sie in einer engen persönlichen Beziehung, wie die §§ 383 ZPO oder 52 StPO sie erfordern. Diskutiert wird allerdings, ob die Vorschriften auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft entsprechend anzuwenden sind. Begründet wird dies damit, dass zwischen den Partnern ein Vertrauensverhältnis besteht, das dem zwischen Eheleuten oder Lebenspartnern gleichkommt.
Rz. 355
Dem kann aber nicht gefolgt werden. Denn der Gesetzgeber hat die zahlreichen Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre – etwa die Einführung des FamFG – nicht zum Anlass genommen hat, die Regelungen zum Aussageverweigerungsrecht zu ändern. Dies spricht für eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gegen ein Aussageverweigerungsrecht innerhalb der nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Hinzu kommt, dass das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft häufig schwer zu objektivieren ist.
Rz. 356
Das Fehlen eines Aussageverweigerungsrechts verstößt auch nicht gegen Europäisches Recht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dazu in einer Entscheidung vom 3.4.2012 zum Niederländischen Recht entschieden, dass sich der Begriff des Familienlebens im Sinne Art 8 EMRK, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens beinhaltet, zwar nicht auf die durch die Ehe begründete Familie beschränkt, sondern auch Beziehungen beinhaltet, die faktisch entstanden sind. Der Versuch, einen der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu einer Aussage zu zwingen stelle dann auch einen Eingriff in das Familienleben dar, wobei die Staaten jedoch bei der Entscheidung, ob ein solcher Eingriff notwendig ist, einen Entscheidungsspielraum haben. Es ist dann zulässig, wenn der Gesetzgeber dem allgemeinen Interesse am Schutz des Familienlebens den Vorrang gegenüber dem Interesse an der Strafverfolgung einräumt, diesen Schutz aber auf die Partner einer Ehe oder einer eingetragenen Partnerschaft unter Ausschluss anderer eheähnlicher Gemeinschaften beschränkt. Die Regelung im deutschen Recht entspricht derjenigen im Niederländischen.