Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 199
Entscheidend ist für die Entstehung der Verfahrensgebühr, dass der Anwalt zum Prozessbevollmächtigten bestellt wurde. Dabei spielt jedoch nicht die Vollmacht, sondern der im Innenverhältnis erteilte Auftrag die maßgebliche Rolle, der schriftlich, mündlich oder auch durch konkludentes Handeln erteilt werden kann.
a) Abgrenzung zur Geschäftsgebühr
Rz. 200
Wenn im Außenverhältnis beispielsweise Prozessvollmacht erteilt wurde, im Innenverhältnis aber nur ein Auftrag zu einer Einzeltätigkeit, dann kann die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG nicht entstehen. Zu differenzieren ist insbesondere in den Fällen der bedingten Auftragserteilung: Soll der Anwalt den Gegner zunächst noch einmal außergerichtlich zur Leistung auffordern und steht der Klageauftrag unter der Bedingung, dass dies scheitert, fällt bei freiwilliger Leistung des Gegners nur die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG an.
Rz. 201
Beispiel
Anwalt A wird beauftragt, den Sachschaden von Eigentümer E in Höhe von 10.000 EUR außergerichtlich geltend zu machen. Für den Fall, dass dies erfolglos bleibt, soll er aufgrund eines entsprechend bedingten Prozessauftrags Klage erheben. Der Versicherer zahlt auf das entsprechende Schreiben freiwillig.
Die Gebühren des Anwalts berechnen sich bei einer durchschnittlichen Angelegenheit wie folgt:
1. 1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300 |
|
798,20 EUR |
2. Auslagenpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
Zwischensumme |
818,20 EUR |
|
3. Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
155,46 EUR |
Gesamt |
|
973,66 EUR |
Rz. 202
Hat der Anwalt dagegen bereits einen Prozessauftrag erhalten – beispielsweise wenn sich der Anspruch gegen einen erfahrungsgemäß vergleichsunwilligen Versicherer richtet –, entstehen die Gebühren nach Nrn. 3100, 3101 VV RVG. Dies gilt auch dann, wenn der Anwalt sich trotzdem noch außergerichtlich an den Versicherer wendet, z.B. um die kostenrechtlichen Folgen des § 93 ZPO auszuschließen, und dieser dem außergerichtlichen Regulierungsvorschlag dann doch zustimmt bzw. freiwillig zahlt.
Rz. 203
Beispiel
Anwalt A wird beauftragt, den Schaden aus einem Verkehrsunfall in Höhe von 10.000 EUR einzuklagen, soll jedoch zuvor den gegnerischen Versicherer letztmalig zur Zahlung auffordern. Auf das entsprechende Schreiben zahlt der Versicherer freiwillig.
Hier ist bereits Prozessauftrag erteilt worden, so dass sich die Vergütung des Anwalts wie folgt berechnet:
1. 0,8-Verfahrensgebühr, VV 3101 |
|
491,20 EUR |
2. Auslagenpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
Zwischensumme |
511,20 EUR |
|
3. Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
97,13 EUR |
Gesamt |
|
608,33 EUR |
b) Entstehen der Gebühr
Rz. 204
Die Verfahrensgebühr fällt als volle Gebühr in Höhe von 1,3 an, sobald der Anwalt die Klage, den verfahrenseinleitenden Antrag oder einen Schriftsatz, der Sachanträge, die Zurücknahme der Klage oder die Zurücknahme des Antrags enthält, einreicht. Endet der Auftrag vorzeitig, erhält er aufgrund seiner Beauftragung als Prozessbevollmächtigter gemäß Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG eine Verfahrensgebühr in Höhe von 0,8.
Rz. 205
Die Verfahrensgebühr entsteht nicht erst dann, wenn der Anwalt sich beim Gericht für den Mandanten legitimiert hat oder seine Tätigkeit auf andere Weise nach außen in Erscheinung getreten ist. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung in Vorb. 3 Abs. 2 VV RVG, wonach die Gebühr "für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information" anfällt. Notwendigerweise beginnt das Betreiben des Geschäfts bereits mit der Entgegennahme der erforderlichen Informationen.
Rz. 206
Auf Klägerseite fällt die Verfahrensgebühr mit der Beauftragung als Prozessbevollmächtigtem, also mit der Erteilung des Klageauftrags an. Voraussetzung für das Entstehen der Verfahrensgebühr auf Beklagtenseite ist grundsätzlich die Zustellung der Klageschrift, da zuvor ein Prozessrechtsverhältnis noch nicht begründet worden ist. Allerdings ist es auch denkbar, dass der Beklagte dem Gegner schon vor Klageerhebung mitteilt, dass die Zustellung der Klage an einen bestimmten Rechtsanwalt erfolgen kann.
Rz. 207
Beispiel
Nach einem Verkehrsunfall macht Anwalt A für Fahrer F Sachschaden in Höhe von 7.500 EUR geltend. Gegner G beauftragt Anwalt B, der diese Ansprüche abwehren soll. Als sich abzeichnet, dass außergerichtlich eine Einigung nicht zu erzielen ist, teilt B dem A in Absprache mit G mit, man könne ihn – soweit Klage erhoben werden solle – in der Klageschrift als Bevollmächtigten aufführen.
In diesem Fall ist B schon vor Zustellung der Klageschrift zum Prozessbevollmächtigten des Beklagten bestellt worden. Wird ...