Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 301
Werden die Ansprüche in einem einheitlichen Verfahren geltend gemacht, so hängt der Gebührenanspruch des Anwalts vom Verfahrensgegenstand ab.
a) Verschiedene Gegenstände
Rz. 302
Bezieht sich sein Verfahrensauftrag auf verschiedene Gegenstände, so erhält der Anwalt die Gebühren nur einmal und zwar gemäß § 22 Abs. 1 RVG aus dem Gesamtwert der Gegenstände.
Rz. 303
Beispiel
Eigentümer E will nach einem Unfall seinen Sachschaden in Höhe von 12.000 EUR, Fahrer F ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 EUR gerichtlich geltend machen. Sie beauftragen Anwalt A, der eine gemeinsame Klage erheben soll. Dieser wird nach mündlicher Verhandlung stattgegeben.
A erhält für diesen Auftrag, der sich auf verschiedene Gegenstände bezieht, eine 1,3-Verfahrensgebühr sowie eine 1,2-Terminsgebühr nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer aus einem Gesamtwert von 19.000 EUR.
b) Derselbe Gegenstand
Rz. 304
Bezieht sich der Verfahrensauftrag auf denselben Gegenstand, so erhält der Anwalt die Gebühren ebenfalls nur einmal und nur aus dem Wert dieses Gegenstandes. Jedoch erhöht sich die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 1008 VV RVG für jeden weiteren Auftraggeber um 0,3. Der Höchstsatz beträgt bei mehreren Erhöhungen 2,0 (Anm. Abs. 3).
Rz. 305
Beispiel
Anwalt A wird vom Haftpflichtversicherer V mit der Vertretung in einem Verfahren beauftragt, in welchem V sowie Fahrer F und Halter H auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 10.000 EUR verklagt werden. Nach mündlicher Verhandlung wird die Klage abgewiesen.
A erhält für diesen Auftrag, der sich auf denselben Gegenstand bezog, eine 1,3-Verfahrensgebühr aus 10.000 EUR, die für zwei weitere Auftraggeber um insgesamt 0,6 erhöht wird. Neben der 1,9-Verfahrensgebühr kann er eine 1,2-Terminsgebühr sowie Auslagenpauschale und Umsatzsteuer abrechnen.
Rz. 306
Die erhöhte Verfahrensgebühr berechnet sich aber stets nur nach demjenigen Wert, an dem die Auftraggeber gemeinschaftlich beteiligt sind.
Rz. 307
Beispiel
E ist Eigentümer und Halter eines Fahrzeugs, das bei einem Verkehrsunfall durch G beschädigt wurde. E beauftragt Anwalt A, den Sachschaden in Höhe von 12.000 EUR einzuklagen. G erhebt Widerklage gegen E, sowie Drittwiderklage gegen den Fahrer F und den Haftpflichtversicherer V auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 7.000 EUR. Auch F und V beauftragen daraufhin A mit ihrer Vertretung im Verfahren. Nach mündlicher Verhandlung wird der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
Der Wert beläuft sich zwar insgesamt auf 19.000 EUR. Die Beteiligung der drei Auftraggeber des A ist allerdings unterschiedlich: An einem Teilwert von 12.000 EUR ist nur E beteiligt, da weder F noch V etwas mit der Geltendmachung des Sachschadens gegen G zu tun haben. An einem Teilwert von 7.000 EUR sind alle drei Auftraggeber beteiligt, da sie alle für den Sachschaden des G haften können.
Die Gebühren des A berechnen sich entsprechend der Teilwerte wie folgt:
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100 |
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aus 12.000 EUR |
865,80 EUR |
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2. 1,9-Verfahrensgebühr, VV 3100, 1008 |
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aus 7.000 EUR |
847,40 EUR |
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gemäß § 15 Abs. 3 RVG max. 1,9 aus 19.000 EUR |
1.463,00 EUR |
3. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104 |
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aus 19.000 EUR |
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924,00 EUR |
4. Auslagenpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
Zwischensumme |
2.407,00 EUR |
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5. Umsatzsteuer, VV 7008 |
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457,33 EUR |
Gesamt |
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2.864,33 EUR |
Rz. 308
Nach anderer Ansicht ist in solchen Fällen aus dem Gesamtwert eine 1,3-Verfahrensgebühr zu berechnen und aus dem Wert der gemeinschaftlichen Beteiligung eine 0,6-Erhöhungsgebühr. Dies ist schon deshalb unzutreffend, weil das Gesetz keine Erhöhungsgebühr kennt, sondern nur eine Erhöhung der Geschäfts- bzw. Verfahrensgebühr.
Rz. 309
Die Gebühren würden sich nach dieser Meinung wie folgt berechnen:
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100 |
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aus 19.000 EUR |
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1.001,00 EUR |
2. 0,6-Erhöhungsgebühr, VV 1008 |
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aus 7.000 EUR |
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267,60 EUR |
3. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104 |
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|
aus 19.000 EUR |
|
924,00 EUR |
4. Auslagenpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
Zwischensumme |
2.212,60 EUR |
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5. Umsatzsteuer, VV 7008 |
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420,39 EUR |
Gesamt |
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2.632,99 EUR |
Rz. 310
Die Entstehung der erhöhten Verfahrensgebühr bei mehreren Auftraggebern ist selten problematisch. Die Schwierigkeiten liegen eher auf der Ebene der Erstattung, wenn von mehreren Streitgenossen nur einige bzw. die Streitgenossen nur teilweise obsiegen und sodann zu prüfen ist, welchen Erstattungsanspruch dieser Streitgenosse – der die Anwaltskosten im Innenverhältnis möglicherweise nicht in vollem Umfang zu tragen hat – gegen den Gegner geltend machen kann (zu den Einzelheiten vgl. § 3 Rdn 81 ff.).
Rz. 311
Ein weiteres Problem stellt sich in diesem Bereich, wenn sich die Streitgenossen nicht durch denselben, sondern jeder durch einen eigenen Anwalt vertreten lassen und der Gegner im Rahmen der Erstattung einwendet, es seien allenfalls die für eine fiktive Mehrvertretung erhöhten Gebühren zu erstatten, da die Beauftragung mehrerer Anwälte einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht darstellt.