Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 92
Die Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG erhält der Anwalt gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 RVG in jeder Angelegenheit gesondert. Ob eine gebührenrechtliche Angelegenheit vorliegt oder es mehrere sind, richtet sich bei einer außergerichtlichen Tätigkeit danach, ob
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ein einheitlicher Auftrag gegeben ist, |
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die Tätigkeit des Anwalts sich im gleichen Rahmen hält und |
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zwischen den einzelnen Gegenständen der anwaltlichen Tätigkeit ein innerer Zusammenhang besteht. |
Rz. 93
Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden. Wird beispielsweise der Anwalt, der für das Unfallopfer eine Schadensersatzrente erstritten hat, später mit dem Ziel beauftragt, diese Rente abzuändern, liegen zwei verschiedene Angelegenheiten vor, die daher gesondert abgerechnet werden können. Dagegen handelt es sich um dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit, wenn der Anwalt im Laufe des Mandates beauftragt wird, neben den Sachschäden am Pkw nun auch ein Schmerzensgeld für den Mandanten beim Unfallgegner geltend zu machen. Es erhöht sich dann allerdings der Gegenstandswert (§ 22 Abs. 1 RVG). Eine außergerichtliche Tätigkeit kann auch nicht deshalb mit zwei Geschäftsgebühren abgerechnet werden, weil ein Teilbetrag gezahlt und der Rest sodann gerichtlich weiterverfolgt wird.
Rz. 94
Die Regulierung eines Unfallschadens und die gleichzeitige Abwicklung von Ansprüchen aus der Unfallversicherung sind verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten. Gleiches gilt für die Regulierung eines Haftpflichtschadens und die Regulierung eines Kaskoschadens. Denn anders als die Regulierung gegenüber dem Gegner und dessen Haftpflichtversicherer geht es dabei um vertragliche Ansprüche, die sich zudem gegen einen anderen Anspruchsgegner richten.
Rz. 95
Beispiel
Eigentümer E hat seinen (vollkaskoversicherten) Wagen bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die Reparaturkosten belaufen sich auf einen Betrag von 5.000 EUR, merkantiler Minderwert, Mietwagenkosten und Schmerzensgeld auf einen weiteren Betrag von 3.000 EUR. E beauftragt Anwalt A, die Reparaturkosten bei seinem Kaskoversicherer geltend zu machen und den Restschaden gegenüber dem gegnerischen Haftpflichtversicherer. Die Angelegenheit ist insgesamt durchschnittlich.
A kann für die Regulierung des Kaskoschadens eine 1,3-Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer aus einem Wert von 5.000 EUR sowie für die Regulierung des Haftpflichtschadens eine 1,3-Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer aus einem Wert von 3.000 EUR verlangen.
Rz. 96
Die Ersatzleistung des Kaskoversicherers ist in der Regel auf den Fahrzeugschaden begrenzt. Merkantiler Minderwert, Mietwagenkosten oder Aufwendungen für die Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs werden nicht ersetzt. Die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers kommt zum einen in Betracht, wenn sich der Haftpflichtversicherer mit der Zahlung in Verzug befindet oder seine Leistungsfreiheit einwendet. Die Inanspruchnahme der eigenen Kaskoversicherung kann sich auch dann anbieten, wenn eine Mithaftung des Mandanten bezüglich des Unfallgeschehens in Betracht kommt.
Rz. 97
Der Geschädigte kommt dann in den Genuss des sog. Quotenvorrechts. Soweit der Kaskoversicherer den Schaden ersetzt, gehen die Schadensersatzansprüche auf ihn über. Dieser Übergang kann aber nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden (§ 86 Abs. 1 VVG). Der Geschädigte kann daher nach Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung die Differenz zwischen dem kongruenten Fahrzeugschaden und der Leistung des Kaskoversicherers gegenüber dem gegnerischen Haftpflichtversicherer ungekürzt geltend machen, wobei die Haftungsquote des Haftpflichtversicherers die Obergrenze bildet. Auch die Anwaltskosten zur Inanspruchnahme des Kaskoversicherers gehören dabei zu den quotenbevorrechtigten Positionen, da sie aufgewendet werden müssen, um den ursprünglichen Fahrzeugzustand wiederherzustellen.