Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 98
Die Mittelgebühr der Geschäftsgebühr liegt bei 1,5. Zusätzlich sieht die Anm. zu Nr. 2300 VV RVG jedoch einen Schwellenwert von 1,3 vor (sog. Regelgebühr), der nur dann überschritten werden darf, wenn die Angelegenheit entweder umfangreich oder schwierig war.
Rz. 99
Die Existenz des Schwellenwertes ist Ausdruck eines Kompromisses im Gesetzgebungsverfahren. Die rechnerische Mittelgebühr von 1,5 war bei der Versicherungswirtschaft auf Widerstand gestoßen, die früher vor allem bei der Unfallregulierung das Entstehen der Besprechungsgebühr vermeiden wollte. Mit Rücksicht darauf sah der Gesetzesentwurf zunächst eine Mittelgebühr von 1,5 mit der gleichzeitigen Einschränkung vor, dass eine Überschreitung dieser Gebühr nur in besonders umfangreichen oder besonders schwierigen Angelegenheiten vorgenommen werden sollte. Da die Begriffe "besonders umfangreich" und "besonders schwierig" jedoch bei § 99 BRAGO zu hohen Anforderungen geführt hatten, wurde das Wort "besonders" auf Wunsch der Anwaltschaft gestrichen. Allerdings wurde im Gegenzug die Gebühr, die bei nicht schwierigen und nicht umfangreichen Angelegenheiten anfallen sollte, auf 1,3 herabgesetzt. Damit sollte jedoch keine Änderung in der Sache einhergehen, also der Schwellenwert in durchschnittlich gelagerten Fällen eingreifen.
Rz. 100
Insofern wurde die Mittelgebühr hinsichtlich der beiden nach der Systematik wichtigsten Kriterien (Umfang und Schwierigkeit der Sache) um 0,2 nach unten verschoben. Eine ausdrückliche Benennung als Mittelgebühr war nur deshalb nicht möglich, weil der Wert von 1,3 eben nicht das mathematische Mittel des Gebührenrahmens ist. Insofern rechtfertigt sich die Bezeichnung "Regelgebühr".
Rz. 101
Hinweis
Die Bestimmung der konkreten Geschäftsgebühr hat daher in folgenden Schritten zu erfolgen:
▪ |
Ausgangspunkt ist die Mittelgebühr von 1,5 nach Nr. 2300 VV RVG. |
▪ |
Zunächst sind sämtliche Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG zu prüfen. |
▪ |
Wenn die Angelegenheit danach durchschnittlich ist, greift zunächst die Regelgebühr nach der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG von 1,3. |
▪ |
Sodann ist isoliert anhand der Kriterien "Umfang" und "Schwierigkeit" zu prüfen, ob diese Gebühr überschritten werden darf. |
Rz. 102
Eine Überschreitung des Gebührensatzes von 1,3 ist bereits dann möglich, wenn die Angelegenheit entweder umfangreich oder schwierig ist. Es müssen also nicht beide Faktoren überdurchschnittlich sein.
Rz. 103
Im Zusammenhang mit dem Umfang und der Schwierigkeit ist die Besprechung mit Dritten oder der Gegenseite von besonderer Bedeutung. Sie löst zwar ohne Verfahrensauftrag (vgl. Vorb. 3 Abs. 1 VV RVG) keine eigene Gebühr (d.h. eine Terminsgebühr) mehr aus, kann aber natürlich bei der Frage, ob die Angelegenheit umfangreich oder schwierig ist, berücksichtigt werden. Allerdings ist eine Sache nicht schon allein deshalb als umfangreich oder schwierig anzusehen, weil ein kurzes Telefonat stattgefunden hat. Denn der Wegfall der Besprechungsgebühr diente auch dazu, die außergerichtliche Erledigung einer Angelegenheit zu erleichtern. Es sollte verhindert werden, dass das klärende Telefonat mit der Gegenseite nur deshalb unterlassen wird, um keine Besprechungsgebühr entstehen zu lassen. Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn generell jede Unterredung mit dem Gegner dazu führen würde, dass die Angelegenheit als umfangreich und schwierig anzusehen ist und damit der Wert von 1,3 überschritten werden kann.
Rz. 104
Die Besprechungsgebühr nach § 118 BRAGO diente dazu, einen tatsächlichen Mehraufwand bei der Mandatsbearbeitung abzugelten. Dieser Mehraufwand entsteht natürlich auch weiterhin und muss auch vergütet werden. Daher führen Besprechungen, die über kurze Mitteilungen oder Sachstandsanfragen hinausgehen, dazu, dass eine Angelegenheit als umfangreich und schwierig anzusehen ist. Das gilt vor allem dann, wenn es zu einem Austausch widerstreitender Argumente kommt. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das Gesetz durch die Neuregelung die außergerichtliche Streitbeilegung fördern wollte. Dann muss aber auch das Bemühen des Anwalts um die Vermeidung eines Prozesses vergütet werden. Allerdings können Angelegenheiten auch umfangreich oder schwierig sein, wenn keine Besprechungen stattfinden.
Rz. 105
Hinweis
Um die einzelnen Umstände vor Gericht darlegen zu können, die zur Bestimmung der konkreten Gebühr aus dem Rahmen von Nr. 2300 VV RVG erforderlich sind, empfiehlt sich die Anfertigung von Aktennotizen nach jeder Besprechung mit dem Mandanten. Denn nach Abschluss eines Mandates ist es mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, sämtliche Einzelheiten zu rekonstruieren, die die Angelegenheit überdurchschnittlich umfangreich oder schwierig gemacht haben.