Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 65
Für einfache Schreiben ist ebenfalls die Geschäftsgebühr einschlägig, allerdings gemäß Nr. 2301 VV RVG aus einem geringeren Gebührenrahmen. Dabei sind Schreiben einfacher Art solche, die weder schwierige rechtliche Ausführungen noch größere sachliche Auseinandersetzungen enthalten. Maßgeblich ist, ob das Schreiben im Vergleich zu den im Allgemeinen in einer durchschnittlichen Kanzlei anfallenden Schreiben nur einfacher Art ist, wie beispielsweise die Mahnung hinsichtlich einer Forderung, die keiner eingehenden Prüfung oder Begründung bedarf. Auch die Anfrage beim Einwohnermeldeamt mit dem Ziel, die Anschrift des Unfallgegners zu ermitteln, kann ein einfaches Schreiben sein.
Rz. 66
Beispiel
Nach einem Verkehrsunfall hat Fahrer F die Korrespondenz mit dem gegnerischen Versicherer zunächst selbst übernommen. Die Versicherung hat den Anspruch bereits in vollem Umfang (5.000 EUR) bejaht. Als die angekündigte Zahlung ausbleibt, beauftragt er Anwalt A, eine Mahnung über die Forderung zu verfassen, weil er hofft, dass der Briefkopf einer Anwaltskanzlei seiner Forderung mehr Nachdruck verleihen wird. Inhaltliche Ausführungen zu der Forderung soll A nicht machen, sondern nur auf die bereits erfolgte Korrespondenz verweisen.
Für das Mahnschreiben kann A folgende Gebühren aus einem Wert von 5.000 EUR geltend machen:
1. 0,3-Geschäftsgebühr, VV 2300, 2301 |
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100,20 EUR |
2. Auslagenpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
Zwischensumme |
120,20 EUR |
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3. Umsatzsteuer, VV 7008 |
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22,84 EUR |
Gesamt |
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143,04 EUR |
Rz. 67
Nr. 2301 VV RVG stellt für die Abgrenzung zwischen außergerichtlicher Vertretung und einfachem Schreiben auf den Auftrag ab. Es kommt also nicht auf das konkrete Ergebnis der anwaltlichen Tätigkeit, sondern darauf an, ob der Anwalt den Auftrag hatte, ein einfaches Schreiben zu erstellen. Der Umfang des Schreibens kann dabei ein Indiz bilden, er ist aber kein allein entscheidendes Merkmal. Denn häufig kann sich eine gründliche Prüfung der Rechtslage im Ergebnis in einem nur kurzen Schreiben äußern. Auch die Verwendung von Formularen, die in Verkehrsunfallsachen gerade in der Korrespondenz mit den Versicherern häufig anzutreffen sind, spricht nicht notwendigerweise für das Vorliegen eines einfachen Schreibens. Zum einen erfordert die Erstellung eines derartigen Formulars bzw. Textbausteins häufig große Mühe, zum anderen kann die Prüfung, ob und inwieweit es im jeweiligen Fall anwendbar ist, rechtlich schwierige Fragen aufwerfen.
Rz. 68
Hinweis
Bei der Regulierung von Verkehrsunfällen dürfte der Auftrag für ein einfaches Schreiben in der Praxis den Ausnahmefall darstellen. Denn regelmäßig wendet sich der Mandant an den Anwalt, damit dieser umfassend prüft, welche Ansprüche aus dem Unfallgeschehen folgen und wie sie durchzusetzen sind. Beachtet man z.B., dass im Rahmen der Regulierung komplexe Fragen zur Höhe eines Schmerzensgeldes, zu Rentenansprüchen und Haushaltsführungsschäden zu behandeln sind, sollte die Einordnung als "einfach" mit Zurückhaltung vorgenommen werden.
Rz. 69
Auch wenn der Rechtsanwalt lediglich ein einfaches Schreiben verfasst hat, greift Nr. 2301 VV RVG also dann nicht ein, wenn der Auftrag auf eine umfangreichere Tätigkeit gerichtet war, was der Anwalt im Streitfall beweisen muss. Es lohnt sich daher, den Umfang des Mandates in Textform gegenüber dem Auftraggeber zusammen zu fassen.
Rz. 70
Beispiel
F beauftragt A nach einem Verkehrsunfall mit der Geltendmachung seiner Rechte gegenüber dem gegnerischen Versicherer. A fordert diesen zunächst in einem dreizeiligen Schreiben unter Fristsetzung zur Zahlung auf. Daraufhin wird die Forderung beglichen.
Auch wenn das Schreiben selbst einfacher Art ist und keine rechtlichen Ausführungen enthält, ist dennoch Nr. 2301 VV RVG nicht anwendbar. Denn der Auftrag des Anwalts war auf eine umfangreichere Tätigkeit, nämlich die außergerichtliche Durchsetzung der Ansprüche gerichtet. Der Rechtsanwalt erhält also die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG. Der vergleichsweise geringe Umfang der Tätigkeit ist im Rahmen der Gebührenbemessung nach § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen.
Rz. 71
Umgekehrt erhält der Anwalt nur die Vergütung nach Nr. 2301 VV RVG, wenn der Auftrag auf ein einfaches Schreiben gerichtet war, er aber auftragswidrig umfangreiche rechtliche Prüfungen oder tatsächliche Ausführungen macht. Erkennt der Anwalt also nach Annahme eines solchen Auftrags, dass allein die Abfassung eines einfachen Schreibens nicht reicht, sondern z.B. umfassende Vorarbeiten erforderlich sind, muss er auf eine entsprechende Erweiterung des Auftrags hinwirken.
Rz. 72
Ist der Anwalt bereits zum Prozessbevollmächtigten bestellt, so lösen einfache Schreiben, die den Verfahrensgang betreffen (Sachstandsanfragen an das erkennende Gericht, Übersendung von Protokollen oder Entscheidungen mit Begleitnachricht an den Mandanten) keine eigene Gebühr aus, da sie nach § 19 Abs. 1 RVG zum Rechtszug gehören und damit mit der Verfahrensgebühr abgegolten sind.