Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 106
Aufgrund des Auslaufens der Regulierungsempfehlungen des DAV bei Inkrafttreten des RVG ist eine intensive Diskussion zwischen Versicherern und Anwaltschaft um die Frage entstanden, ob die Regulierung eines "üblichen" Verkehrsunfalls generell mit einer 1,3-Geschäftsgebühr abgerechnet werden kann, ohne dass die Umstände des Einzelfalls darzulegen sind. Viele Haftpflichtversicherer haben lediglich eine Gebühr von 0,9 erstattet und hinsichtlich des Restbetrages Klage anheimgestellt. Die inzwischen fast unübersehbare Menge amtsgerichtlicher Urteile zu dieser Frage zeigt, dass sich eine Vielzahl von Anwälten mit dieser Vorgehensweise nicht abfinden wollte.
Rz. 107
Die Situation hat sich insofern teilweise entschärft, als einige Versicherer Abrechnungsvereinbarungen anbieten, die von Gebührensätzen zwischen 1,8 und 2,7 bzw. zwischen 1,5 und 2,25 ausgehen. Auch durch diese Abrechnungsgrundsätze wird aber wohl der Streit um die Vergütung einer außergerichtlichen Unfallschadensregulierung nicht vollständig beigelegt werden können. Für die Praxis ist daher – soweit der Anwalt sich nicht an angebotene Abrechnungsgrundsätze gebunden hat – Folgendes zu beachten:
Rz. 108
Soweit die Gerichte teilweise eine nicht näher begründete 1,3-Geschäftsgebühr unbeanstandet lassen, nur weil sich die Tätigkeit auf einen Verkehrsunfall bezog, wird dies im Wesentlichen mit zwei Argumenten begründet.
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Verkehrsunfälle sind ein Massenphänomen Im Interesse einer einfachen und praktikablen Handhabung könne daher die 1,3-Geschäftsgebühr im Wege der Schematisierung ohne Darlegung der Einzelumstände angesetzt werden. |
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Das RVG sollte keine Gebühreneinbuße bewirken Der Wegfall von Besprechungs- und Beweisaufnahmegebühr müsse im Rahmen einer Gesamtbetrachtung durch den regelmäßigen Ansatz einer 1,3-fachen Gebühr ausgeglichen werden. |
Rz. 109
Für den schematischen Ansatz einer 1,3-Geschäftsgebühr bei Unfallregulierungen geben beide Thesen nicht viel her. Die Regelung zur Bestimmung der Rahmengebühr in § 14 Abs. 1 RVG basiert auf einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Warum gerade die Abwicklung von Verkehrsunfällen – mögen sie auch ein Massenphänomen darstellen – diesem Abwägungsgebot nicht unterfallen soll, ist nicht ersichtlich. Eine pauschale Abrechnung in bestimmten Rechtsgebieten sieht § 14 Abs. 1 RVG nicht vor. Sie kann aber – und dies ist ein für die Belange der Praxis völlig ausreichendes Instrumentarium – mit all ihren Vor- und Nachteilen durch Abrechnungsvereinbarungen mit den Versicherern erreicht werden.
Rz. 110
Die weiter aufgestellte These, die Abwicklung eines Verkehrsunfalls sei deshalb generell eine durchschnittlich schwierige und umfangreiche Angelegenheit, da das RVG nicht zu Gebühreneinbußen führen sollte, vermag ebenfalls nicht in allen Fällen zu überzeugen. Durch den Wegfall der Besprechungs- und Beweisaufnahmegebühr ergibt sich insofern keine generelle Gebührenminderung für den Anwalt, als er den konkret erhöhten Aufwand bei der Gebührenbestimmung aus dem Rahmen von Nr. 2300 VV RVG geltend machen kann. Soweit dieser Aufwand allerdings nicht vorliegt, weil es keine Besprechung, keine Ortsbesichtigung etc. gegeben hat, war weder nach der BRAGO noch ist nach dem RVG ausnahmslos eine im Bereich von 1,3 liegende Gebühr gerechtfertigt.
Rz. 111
Auch wenn eine Vielzahl von Entscheidungen dies suggeriert: Den typischen "durchschnittlichen" Verkehrsunfall und eine typische Geschäftsgebühr in Höhe von 1,3 für dessen außergerichtliche Regulierung gibt es nicht. Da die Regelung des § 14 Abs. 1 RVG nicht allein auf die vom Anwalt zu bearbeitende Materie abstellt, sondern auf verschiedene Einzelkriterien, bleibt es also dabei, dass sich der Anwalt bei der Gebührenforderung – schon aus Gründen der Vorsicht – nicht schlicht auf die Darlegung beschränken sollte, dass er eine Unfallschadensregulierung vorgenommen habe. Denn der Rahmen der Geschäftsgebühr beginnt auch für diese Tätigkeit bei 0,5. Es gibt durchaus Fälle, in denen lediglich eine Gebühr im Bereich von 0,8 bis 1,0 angemessen ist, weil die Abwägungsmerkmale insgesamt eine nur deutlich unterdurchschnittliche Angelegenheit ergeben. Damit wird auch kein weiterer Gebührenrahmen von 0,5 bis 1,3 geschaffen oder für die Unfallregulierung eine weitere Mittelgebühr von 0,9 begründet. Vielmehr bleibt es – auch in Verkehrsunfallsachen – dabei, dass die Einzelumstände für die Gebührenbestimmung dargetan werden müssen. Der – darlegungs- und beweisbelastete – Anwalt sollte dieser Darlegung im eigenen Interesse somit die nötige Sorgfalt widmen, um Diskussionen mit Mandanten und Rechtsschutzversicherern auf das Mindestmaß zu beschränken. Diese Diskussionen führen zu Zeitaufwand, welcher die Effektivität der Mandatsbearbeitung im Einzelfall empfindlich beeinträchtigen kann.
Rz. 112
Hat der Anwalt die Einzelumstände zur Bestimmung der konkreten Gebühr dargelegt, kann das Gericht sie – im Rechtsstreit mit einem Dritten oder im Rahmen der Honorarklage gegen den M...