Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
I. Allgemeines
Rz. 322
Für die Tätigkeit im Berufungsverfahren kann der Anwalt die Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200 oder 3201 VV RVG berechnen. Die Terminsgebühr richtet sich nach Nr. 3202 VV RVG, die Einigungsgebühr nach Nr. 1004 VV RVG. Sowohl bei der Verfahrens- als auch bei der Einigungsgebühr liegt der Satz um 0,3 über demjenigen der Ausgangsinstanz. Die Verfahrensgebühr erhöht sich auch hier gemäß Nr. 1008 VV RVG um 0,3 für jeden weiteren Auftraggeber, soweit eine gemeinschaftliche Beteiligung vorliegt. Eine besondere Gebühr (Nr. 2100 VV RVG) kann für die Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels veranschlagt werden.
II. Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels
Rz. 323
Erhält der Anwalt vorerst nur den Auftrag, nach Vorliegen einer erstinstanzlichen Entscheidung die Erfolgsaussichten der Berufung zu prüfen, fällt hierfür noch keine Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG an. Der Anwalt wurde nämlich noch nicht zum Prozessbevollmächtigten der Rechtsmittelinstanz bestellt. Stattdessen fällt, je nach Aufwand, eine Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG an, die sich – als Rahmengebühr – zwischen 0,5 und 1,0 bewegt. Wiederum gilt nach § 14 Abs. 1 RVG, dass der Anwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, bestimmt. Auch hier kann ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts bei der Bemessung herangezogen werden. Soweit die Prüfung ein schriftliches Gutachten umfasst, erhöht sich die Gebühr auf 1,3 (Nr. 2101 VV RVG). Die Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG ist, sollte der Anwalt im Anschluss an seine Prüfung mit der Durchführung der Rechtsmittelinstanz beauftragt werden, auf die dortige Verfahrensgebühr in voller Höhe anzurechnen.
III. Verfahrensgebühr
1. Allgemeines
Rz. 324
Der zum Prozessbevollmächtigten bestellte Anwalt erhält die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG. Wiederum fällt sie für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information an und umfasst neben der Berufungseinlegung, der Berufungsbegründung oder -erwiderung auch alle weiteren Schriftsätze, die während der Berufungsinstanz anfallen. Hierzu gehört der Tatbestandsberichtigungsantrag (§ 320 Abs. 1 ZPO) übrigens nicht, selbst wenn er vorrangig der Vorbereitung eines Rechtsmittels dient und dort sogar zunehmende Bedeutung gewinnt. Der Antrag selbst gehört zur Tätigkeit in der Ausgangsinstanz und ist mit der Nr. 3100 VV RVG abgegolten.
2. Auftrag
Rz. 325
Abermals entscheidend für die Entstehung der Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG ist, dass der Anwalt zum Prozessbevollmächtigten für die Berufungsinstanz bestellt wurde. Entscheidend ist dabei der Inhalt des Auftrages im Innenverhältnis.
Rz. 326
Beispiel
Anwalt A wird zwei Tage vor Ablauf der Berufungsfrist beauftragt, gegen ein klageabweisendes Urteil des Amtsgerichts (Streitwert: 4.000,00 EUR) fristwahrend Berufung einzulegen. Im Anschluss daran soll er die Erfolgsaussichten der Berufung prüfen. A legt Berufung ein und kommt zum Ergebnis, dass eine Durchführung der Berufung keine Erfolgsaussichten hat. Er empfiehlt dem Mandanten M, die Berufung zurückzunehmen. M handelt entsprechend dieser Empfehlung.
Die Gebühren des Anwalts berechnen sich wie folgt:
1. 1,6-Verfahrensgebühr, VV 3200 |
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444,80 EUR |
2. Auslagenpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
Zwischensumme |
464,80 EUR |
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3. Umsatzsteuer, VV 7008 |
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88,31 EUR |
Gesamt |
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553,11 EUR |
Rz. 327
Mit der Einlegung der Berufung ist die Verfahrensgebühr in voller Höhe verdient. Hingegen erhält der Anwalt, wenn er nach (ggf. nur fristwahrender) Berufungseinlegung die Erfolgsaussichten prüfen soll, keine Gebühr nach Nrn. 2100, 2101 VV RVG. Die Prüfung ist hier nämlich Teil des Betreibens des Geschäfts und mit der Verfahrensgebühr abgegolten. Fragen der Anrechnung stellen sich hier also nicht.
Rz. 328
Die Verfahrensgebühr fällt als volle Gebühr in Höhe von 1,6 (Nr. 3200 VV RVG) an, sobald der Anwalt einen Schriftsatz, der Sachanträge, Sachvortrag, die Zurücknahme der Klage oder die Zurücknahme des Rechtsmittels enthält, eingereicht oder sobald er einen gerichtlichen Termin wahrgenommen hat. Bei vorzeitiger Beendigung erhält er nur eine reduzierte Verfahrensgebühr in Höhe von 1,1 (Nr. 3201 VV RVG).
Rz. 329
Beispiel
Anwalt A, der für seinen Mandanten ein stattgebendes Urteil in einer Verkehrsunfallsache erstritten hat (Streitwert: 10.000,00 EUR), erhält die Berufungsschrift der Gegenseite zugestellt. Er zeigt dem Gericht an, den Kläger weiterhin zu vertreten, stellt aber keinen Sachantrag. Die Beklagtenseite nimmt sodann die Berufung zurück.
Die Gebühren des Anwalts in der Berufungsinstanz errechnen sich wie folgt:
1. 1,1-Verfahrensgebühr, VV 3201 |
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675,40 EUR |
2. Auslagenpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
Zwischensumme |
695,40 EUR |
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3. Umsatzsteuer, VV 7008 |
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132,13 EUR |
Gesamt |
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827,53 EUR |
Rz. 330
Durch die reine Bestellungsanzeige ohne Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung fällt lediglich eine reduzierte Verfahrensgebühr an.
IV. Terminsgebühr
Rz. 331
Der Anfall einer Terminsgebühr im Berufungsverfahren unt...