Rz. 136

Vorsicht ist bei der Anwendung der Abrechnungsgrundsätze geboten, wenn sich die Angelegenheit außergerichtlich nur teilweise erledigt hat und der Restschaden gerichtlich weiterverfolgt werden soll.

Die Regulierungsempfehlungen bestimmten in Ziffer 7 f, dass die pauschale Abrechnung grundsätzlich nur für den Fall der vollständigen außergerichtlichen Schadensregulierung galt. Bei nur teilweiser Regulierung konnte der Anwalt nur dann pauschal abrechnen, wenn der Ausgleich weiterer Schadenspositionen einvernehmlich vorbehalten blieb. Unter der Geltung dieser Ziffer 7 f sahen viele Instanzgerichte in der Übersendung einer anwaltlichen Gebührenrechnung auf Grundlage der Sätze der Regulierungsempfehlungen ein Angebot zum Abschluss eines Verzichtsvertrages im Hinblick auf die noch streitigen materiellrechtlichen Ansprüche des Geschädigten.[115] Denn der Versicherer könne eine solche Abrechnung nur so verstehen, dass die Angelegenheit insgesamt abgeschlossen sein solle. Die entsprechende Erklärung des Anwalts, die der Versicherer durch Ausgleich der Rechnung konkludent annehme, müsse sich der Mandant nach § 164 BGB zurechnen lassen. Die Gegenmeinung[116] beurteilte das Vorliegen eines Verzichtsvertrages mit Recht kritisch, da die Auslegung als konkludentes Angebot eine Frage des Einzelfalls sei und nicht schematisch anhand eines einzelnen Kriteriums beurteilt werden könne.

 

Rz. 137

Die Abrechnungsgrundsätze einiger Versicherer greifen auch bei einer Teilerledigung, da eine Einschränkung auf eine vollständige außergerichtliche Erledigung nicht vorgenommen wird. Der Anwalt kann also auch dann nach den Abrechnungsgrundsätzen liquidieren, wenn er noch wegen eines Restbetrages klagen muss. Auch nach der neuen Rechtslage besteht also u.U. die Gefahr, dass in der Abrechnung der pauschalen Gebühren bei Teilerledigung ein konkludenter Verzicht auf weitergehende materiellrechtliche Ansprüche gesehen wird.

 

Rz. 138

Inhaltlich ist dies zwar abzulehnen:[117] Es müssen der Inhalt der Erklärung sowie der vorausgegangene Schriftverkehr zwischen Anwalt und Versicherer darauf überprüft werden, ob der Abrechnung wirklich ein Erklärungsinhalt dahingehend zuzubilligen ist, dass der Anwalt im Namen seines Mandanten auf materielle Ansprüche verzichten wollte. Dafür kann z.B. sprechen, dass die Abrechnung des Anwalts als "Endabrechnung" überschrieben ist,[118] im Begleitschreiben mitgeteilt wird, dass die Angelegenheit mit dieser Abrechnung erledigt sein soll[119] oder vorher vertretene Rechtsstandpunkte nicht mehr aufrechterhalten werden.[120]

 

Rz. 139

Ohne solche Anhaltspunkte ist die Übersendung einer Abrechnung lediglich ein Indiz dafür, dass die Angelegenheit mit der dort genannten Regulierungssumme insgesamt erledigt sein soll. Zwar gilt im Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant die Vorschrift des § 166 BGB, wonach sich der Mandant die Kenntnis seines Anwalts im Verhältnis zum Versicherer zurechnen lassen muss. Dies bedeutet allerdings nicht zwingend, dass auch der Versicherer als Erklärungsempfänger von einem solchen Erklärungsinhalt ausgehen darf. Denn es ist zu berücksichtigen, dass die Abrechnungsgrundsätze nur zwischen Versicherer und Anwalt gelten und kaum ein Mandant sie kennen dürfte. Vor diesem Hintergrund darf ein objektiver Dritter in der Position des Versicherers nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass der Anwalt eine entsprechende schlüssige Erklärung im Namen seines Mandanten abgibt.

 

Rz. 140

Da der Anwalt sich jedoch mit einer solchen Abrechnung im laufenden Mandat regresspflichtig machen kann, wenn bei späterer Klage ein konkludenter Erlassvertrag angenommen wird, sollte auf eine Abrechnung verzichtet werden, solange noch Ansprüche streitig sind. Ansonsten muss die Abrechnung jedenfalls einen eindeutigen Vorbehalt enthalten:

 

Rz. 141

 

Formulierungsbeispiel

"(…) bitte ich um Ausgleich der durch meine Beauftragung entstandenen Kosten gemäß der anliegenden Rechnung. Ich weise darauf hin, dass mit dieser Abrechnung keine Regelung hinsichtlich der zwischen uns streitigen Frage (…) getroffen wird. Die Geltendmachung dieser Schadensposition bleibt ausdrücklich vorbehalten."

[115] Vgl. LG Aachen NJW-RR 2004, 170; LG München NZV 2004, 413; LG Wuppertal SP 2004, 176; AG Ingolstadt AGS 2004, 171; LG Osnabrück SP 2003, 327.
[116] BGH VersR 2006, 659; LG Bonn zfs 2005, 238; LG Kiel SP 2003, 214; zweifelnd auch OLG Celle DAR 2003, 556.
[117] Vgl. BGH RVGreport 2006, 236; Mayer/Kroiß (Klees), § 2 Rn 10.
[118] Vgl. LG Aachen NJW-RR 2004, 170.
[119] Vgl. LG Bonn, Urt. v. 17.11.2000 – 1 O 484/99, n.v.
[120] Vgl. LG Köln, Urt. v. 19.11.2002 – 8 O 280/02, n.v.

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