Rz. 89
In vielen Fällen hat der Arbeitgeber entweder überhaupt keine Regelungen über die Art und Weise der Internet-/E-Mail-Nutzung festgelegt oder aber die vorhandenen Regelungen sind nicht abschließend. Sehr verbreitet ist es auch, dass Regelungen zwar vorhanden sind aber nicht konsequent umgesetzt und kontrolliert werden. Möglich ist auch, dass sich eine abweichende betriebliche Übung "eingeschlichen" hat. All diesen Konstellationen ist gemein, dass die vorhandenen Regelungen unklar sind und damit der Arbeitnehmer nicht abschließend einschätzen konnte, welche Regelungen eigentlich für ihn gelten sollen. Die Rechtsprechung fordert in diesen Fällen grundsätzlich vor etwaigen Kündigungen den Ausspruch einer Abmahnung. Ist völlig unklar, was im Einzelfall gilt, kann sogar der Ausspruch einer Abmahnung ungerechtfertigt sein, weil überhaupt keine Pflichtverletzung anzunehmen ist. Zugunsten der Arbeitnehmer wird teilweise auch die zunehmende Regelungsdichte im Arbeitsrecht berücksichtigt. Unterliegt der Arbeitnehmer einer Vertrauensarbeitszeit, verstößt er ebenfalls gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, wenn er die ihm übertragenen Aufgaben vernachlässigt und stattdessen zu privaten Zwecken im Internet surft; ein Arbeitszeitbetrug im Sinne der Rechtsprechung des BAG zur ausschweifenden Internetnutzung während der Arbeitszeit scheidet aber in diesen Fällen regelmäßig aus.
Rz. 90
Wird die private Nutzung gebührenfreier Internetdienste und der E-Mail-Funktionen außerhalb der Arbeitszeit ausdrücklich für zulässig erklärt und sind für eine an sich mögliche Internetnutzung während der Arbeitszeit keine bestimmten Sanktionen vorgesehen, so besteht das Erfordernis einer vorherigen Abmahnung. Der Arbeitgeber müsste konkret vortragen, dass der Arbeitnehmer in Folge der Nutzung des Internets während der Arbeitszeit andere ihm obliegende Aufgaben vernachlässigt und die in seinem Arbeitsplan im Einzelnen vorgesehenen Arbeiten nicht verrichtet habe. Das BAG hat schon in der ersten Entscheidung vom 7.7.2005 ausführlich erklärt, dass die exzessive Nutzung des Internets während der Arbeitszeit, sogar bei erlaubter privater Nutzung, eine erhebliche Verletzung der arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten darstellen kann.
Rz. 91
Nach dem BAG muss jeder Arbeitnehmer damit rechnen, dass der Arbeitgeber nicht damit einverstanden ist, wenn seine Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung nicht erbringen und gleichwohl eine entsprechende Vergütung dafür beanspruchen. Dies gilt nach Auffassung des BAG ausdrücklich auch dann, wenn der Arbeitgeber keine klarstellenden Nutzungsregelungen für den Betrieb aufgestellt hat. Bei der fehlenden ausdrücklichen Gestattung oder Duldung des Arbeitgebers ist eine private Nutzung des Internets also nicht erlaubt. Eine grundsätzliche Sozialadäquanz wird allenfalls für eine kurzfristige private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit bejaht. Keinesfalls könne man aber bei einer exzessiven privaten Nutzung von einem sozialadäquaten Verhalten sprechen.
Rz. 92
Praxishinweis
Arbeitnehmer können nicht davon ausgehen, dass ihnen betriebliche Gegenstände auch zur privaten Nutzung zur Verfügung stehen. Dennoch ist in der Praxis in jedem Fall zu empfehlen, klare Nutzungsregelungen aufzustellen, damit den Arbeitnehmern der Umfang der Nutzung bekannt und bewusst ist.