Dr. Wolfgang Kürschner, Karl-Hermann Zoll
Rz. 17
Als "Unfall" wird ein zeitlich begrenztes, plötzliches, von außen wirkendes unfreiwilliges Ereignis verstanden, das für eine Körperbeschädigung oder den Tod eines Menschen ursächlich ist. In diesem Sinne wird der Unfallbegriff im Bereich der Unfallversicherung verwendet, wobei es hierbei wieder Differenzierungen im Rahmen der für die private Unfallversicherung bedeutenden AUB einerseits und der für die gesetzliche Unfallversicherung maßgeblichen Bestimmungen der RVO und des SGB andererseits gibt (vgl. dazu u.a. § 38 [Arbeitsunfall]). Für die Darstellung des Unfallhaftpflichtrechts wird der Unfallbegriff im weitesten Sinne verstanden. Er erstreckt sich auch auf ein Ereignis, das (nur) zu Sachschäden geführt hat. Zur näheren Bestimmung und Abgrenzung wird der Schadensersatzbegriff untersucht, es werden einzelne Schadensarten einander gegenübergestellt und Voraussetzungen für ihre Ersatzpflicht beschrieben (vgl. dazu § 12). Der Begriff "Unfall" wird in § 7 Abs. 2 StVG verwendet, ohne dass dabei klargestellt wird, ob nur der in Abs. 1 umschriebene Tatbestand gemeint ist oder ob es sich um ein selbstständiges Tatbestandsmerkmal handelt, das an die Stelle der Widerrechtlichkeit tritt, die in das System der Betriebsgefahrhaftung nicht passt (vgl. dazu auch § 4 Rdn 3).
Rz. 18
Die Frage, ob ein Unfall im Rechtssinne oder aber eine Unfallmanipulation vorliegt, stellt sich in der Praxis zunehmend aus bestimmten tatsächlichen Gründen: Provozierte, gestellte, fingierte Unfälle haben zu einer reichhaltigen Kasuistik geführt, in der insbesondere die Beweisanforderungen definiert werden (vgl. hierzu § 2 Rdn 237). Ein Versicherungsnehmer, der einen Haftpflichtversicherer aus einem behaupteten Verkehrsunfall in Anspruch nimmt, hat darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass der behauptete Unfall stattgefunden hat und hierdurch der behauptete Fahrzeugschaden verursacht wurde. Der Nachweis einer die Haftung ausschließenden Manipulation obliegt dem Schädiger oder dem Haftpflichtversicherer. Der Bundesgerichtshof hat zum Thema der Beweiswürdigung in Fällen vermuteter Unfallmanipulation im Oktober 2019 eine Entscheidung getroffen, in der die beweisrechtlichen Maßstäbe ausführlich dargelegt werden. Danach ist in derartigen Fällen keine Absenkung des erforderlichen Beweismaßes der vollen Überzeugung (§ 286 ZPO) gestattet. Der Tatrichter darf sich in Fällen dieser Art nicht mit einer bloßen, wenn auch erheblichen Wahrscheinlichkeit begnügen. Von der Erlangung der persönlichen Gewissheit des Richters von der Wahrheit darf nicht abgesehen werden. Die Ausführungen in der Vorauflage dürften damit teilweise obsolet sei. Dort war ausgeführt: Dabei bedarf es zum Nachweis einer Kollisionsabsprache allerdings keiner lückenlosen Gewissheit im Sinne einer mathematischen Beweisführung. Es reicht vielmehr die Feststellung von Indizien aus, die in lebensnaher Zusammenschau und praktisch vernünftiger Gewichtung den Schluss auf ein kollusives Zusammenwirken zulassen, das die Rechtswidrigkeit der angeblichen Rechtsverletzung ausschließt. Es kommt nicht darauf an, dass bestimmte, nach ihrer Anzahl und/oder ihrer äußeren Entscheidungsformel immer gleiche Beweisanzeichen festgestellt werden müssen. Entscheidend ist stets die Werthaltigkeit der Beweisanzeichen in der Gesamtschau, nicht die isolierte Würdigung der einzelnen Umstände. Dabei mögen in diesem Sinne geeignete Indizien bei isolierter Betrachtung jeweils auch als unverdächtig erklärt werden können. Die Frage des Nachweises einer vom Versicherer behaupteten Verabredung stellt sich nicht, solange nicht der objektive Tatbestand einer Rechtsgutsverletzung und der Ursachenzusammenhang zur Überzeugung des Gerichts feststehen.
Rz. 19
Der Haftpflichtversicherer, der von einer Unfallmanipulation seines Versicherungsnehmers ausgeht, kann zwar auch in einem Anwaltsprozess im Wege der Nebenintervention nach § 66 Abs. 1 ZPO für einen nicht selbst vertretenen Versicherungsnehmer Klageabweisung beantragen und dadurch ein Versäumnisurteil abwenden. Ein Versicherungsnehmer, der sich im Verkehrsunfallprozess gegen den von seinem mitverklagten Haftpflichtversicherer gegen ihn erhobenen Vorwurf eines versuchten Versicherungsbetrugs verteidigen will, handelt jedoch nicht mutwillig im Sinne von § 114 S. 1 ZPO, wenn er Prozesskostenhilfe für die Vertretung durch einen eigenen Anwalt begehrt, obwohl ihm der Haftpflichtversicherer als Streithelfer beigetreten ist und dessen Prozessbevollmächtigter auf diesem Wege auch für ihn Klageabweisung beantragt hat. Beim Verdacht der Unfallmanipulation ist der vom Haftpflichtversicherer beauftragte Rechtsanwalt wegen Interessenkollision daran gehindert, auch den Fahrer bzw. Versicherungsnehmer zu vertreten.
Rz. 20
Die Frage, durch welche vorbeugenden Maßnahmen andere Personen oder Institutionen als die späteren Unfallbeteiligten Unfallgefahren hätten verringern oder gar verhindern können, stellt sich in Prozessen, in denen...