Dr. Wolfgang Kürschner, Karl-Hermann Zoll
Rz. 34
Zahlreiche Unfallhaftpflichttatbestände – etwa aus den Bereichen des Straßen-, Luft- oder Schiffsverkehrs oder der Produkthaftung – sind nicht auf den deutschen Bereich beschränkt, sondern weisen Auslandsbezüge auf, sei es durch den Ort des Geschehens oder die Nationalität von Beteiligten oder durch die Zulassung eines beteiligten Fahrzeugs in einem vom Unfallstaat abweichenden Land. Bei derartigen Unfallhaftpflichtfällen stellen sich regelmäßig Grundfragen nach der internationalen Zuständigkeit anzurufender Gerichte, danach, welche materielle Rechtsordnung für die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung maßgeblich ist, sowie etwa die Frage nach grenzüberschreitenden Vollstreckungsmöglichkeiten. Dieses Buch beschränkt sich im Wesentlichen auf die Darstellung des deutschen Unfallhaftpflichtrechts. Es sollen jedoch einige wenige Grundzüge internationalen Rechts aufgezeigt und weiterführende Schrifttums-, Rechtsprechungs- und Praxishinweise auch zum ausländischen Recht und zur Rechtsvergleichung gegeben werden. Internationales Recht i.w.S. kann Verschiedenes bedeuten: (1) Auf dem Gebiet des Zivilrechts das Internationale Privatrecht oder (2) auch das supranationale Recht, das – wie das Europarecht – von internationalen Instanzen für mehrere Staaten einheitlich gesetzt wird, oder aber (3) solches Recht, das mit der Ratifikation von Verträgen in mehreren Staaten gilt.
Rz. 35
Die Rechtssätze des Internationalen Privatrechts (IPR) entscheiden darüber, welches nationale Recht für die Beurteilung eines Einzelfalles anzuwenden ist. Das IPR enthält also i.d.R. kein sachliches Recht, sondern Kollisionsnormen, die entweder nur den Anwendungsbereich der beispielsweise deutschen Rechtsordnung festlegen (einseitige Kollisionsnormen) oder die ganz allgemein den maßgeblichen Anknüpfungspunkt bestimmen (zweiseitige oder vollkommene Kollisionsnormen). Das IPR ist damit im Grundsatz Rechtsanwendungsrecht; es wird mitunter auch als Metarecht, d.h. als ein Recht über Recht beschrieben. Die Vorprüfung, nach welchem der innerstaatlichen Sachrechte der jeweilige Fall zu beurteilen ist, erfolgt anhand des Internationalen Privatrechts desjenigen Staates, in dem prozessiert wird (lex fori). Dazu ist zunächst die Frage nach der internationalen Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Gerichts zu beantworten, weil sich danach die lex fori bestimmt. Bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung ergibt sich – jedenfalls im europäischen Kontext – die internationale Zuständigkeit grundsätzlich nach der EuGVO. Bei grenzüberschreitenden Straßenverkehrsunfällen ist demnach – neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten an seinem Wohnsitz bei Klageerhebung (Art. 2 EuGVO) – noch ein zweiter, besonderer Gerichtsstand einschlägig, nämlich der der unerlaubten Handlung. Da Internationales Privatrecht innerstaatliches Recht ist, können unterschiedliche leges fori auch unterschiedliche Sachrechte berufen. Das IPR kann zur Bestimmung der maßgeblich heranzuziehenden Rechtsordnung an persönliche Verhältnisse (z.B. Staatsangehörigkeit, Wohnsitz) oder räumliche Umstände (z.B. Tatort, Erfolgsort) anknüpfen. Kommt bei der Beurteilung eines Sachverhalts die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht, hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob das deutsche internationale Privatrecht die Anwendung des deutschen oder des ausländischen Rechts vorschreibt. Die Regelungen des Internationalen Privatrechts, wozu auch die einschlägigen Normen des Europäischen Gemeinschaftsrechts sowie die von Deutschland ratifizierten kollisionsrechtlichen Staatsverträge gehören, beanspruchen allgemeine Verbindlichkeit, ohne dass es darauf ankäme, ob sich eine der Parteien auf die Anwendung ausländischen Rechts beruft; die richtige Anwendung des deutschen internationalen Privatrechts ist in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Der Tatrichter darf sich bei der Ermittlung ausländischen Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen.
Rz. 36
Ein Statut bezeichnet im Internationalen Privatrecht diejenige Rechtsordnung, die zur Entscheidung in der Sache heranzuziehen ist. So bestimmt sich im Internationalen Sachenrecht das anwendbare Recht, das Sachstatut, nach dem Belegenheitsort der Sache, es gilt die lex rei sitae (vgl. Art. 43 Abs. 1 EGBGB). Das Personalstatut (vgl. Art. 5 EGBGB) betrifft das auf die persönlichen Lebensverhältnisse einer Person anwendbare Recht (also Personenstands-, Familien- und Erbrecht). Nach dem Deliktsstatut (lex loci delicti) gilt im Fall der Begehung einer unerlaubten Handlung (Delikt) das am Tatort geltende Recht für Ansprüche aus dieser unerlaubten Handlung, sog. Tatortprinzip. Nach dem Deliktsstatut beurteilen sich die Voraussetzungen einer Haftung aus unerlaubter Handlung nach Tatbestand, Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden. Die zu beachtenden ...