Rz. 2
Einzelne Rechtsgebiete mussten sich bereits sehr früh mit den Fragen der modernen Datenverarbeitung auseinandersetzen, insbesondere das Verfassungsrecht. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 1983 in seinem grundlegenden Volkszählungsurteil[3] die "Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden" aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet und dabei hervorgehoben:
Zitat
"Diese Befugnis bedarf unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes. Sie ist vor allem deshalb gefährdet, weil bei Entscheidungsprozessen nicht mehr wie früher auf manuell zusammengetragene Karteien und Akten zurückgegriffen werden muß, vielmehr heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person […] technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind."
Rz. 3
Das Erbrecht ist dagegen über lange Zeit von den Herausforderungen der Digitalisierung verschont geblieben. Auch wenn der grundlegende Aufsatz von Hoeren aus dem Jahr 2005 stammt,[4] hat das Erbrecht erst sehr spät, nämlich erst in diesem Jahrzehnt,[5] wirklich damit begonnen, die Frage zu untersuchen, was mit den digitalen Hinterlassenschaften einer verstorbenen Person geschieht.[6]
Rz. 4
Dabei ist der rechtstatsächliche Befund sehr deutlich: Statistisch gesehen sterben weltweit jede Minute drei Facebook-Nutzer,[7] in Deutschland immerhin einer alle zwei Wochen.[8] 2 Mio. der ca. 22 Mio. deutschen Facebook-Nutzer sind über 55 Jahre alt.[9] 80 Mio. Deutsche besitzen einen E-Mail-Account.[10] Für Senioren hat sich der Begriff der sog. "Silver Surfer" eingebürgert.[11]
Rz. 5
Durch die beiden im Ergebnis sehr konträren Facebook-Entscheidungen des LG Berlin[12] und des KG[13] (nicht rechtskräftig)[14] zur Rechtsnachfolge der Erben in ein Benutzerkonto bei Facebook haben die Fragen rund um den digitalen Nachlass sehr schnell an praktischer Bedeutung gewonnen,[15] und es ist noch nicht abzusehen, wohin die Reise gehen wird. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist glücklicherweise zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt aufgerufen, viele zentrale Probleme des digitalen Nachlasses für die Praxis verbindlich durch sach- und interessengerechte Lösungen zu entscheiden und damit ein gewisses Maß an Rechtssicherheit zu schaffen.[16]
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