Rz. 32
Das alte Leitbild der GbR – Gelegenheitsgesellschaft – wird mit der Anerkennung ihrer Rechtsfähigkeit "auf das Leitbild einer auf gewisse Dauer angelegten Personengesellschaft umgestellt, die mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet ist" (Modernisierungsziel).
Die GbR steht damit sowohl für die Verfolgung erwerbswirtschaftlicher Zwecke (wie z.B. der Betrieb eines Unternehmens durch Angehörige Freier Berufe, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft oder Kleingewerbetreibende) als auch zum Zweck der Vermögensverwaltung (Halten und Verwalten bspw. von Immobilien) zur Verfügung.
1. Konsequenzen
Rz. 33
Durch den Leitbildwandel kommt es regelungstechnisch zu einer konsequenten Ausgestaltung der GbR als Grundform aller rechtsfähigen Personengesellschaften (Baukastenprinzip). Verweistechnik:
Diese Verweistechnik auf das GbR-Recht bedingt eine "möglichst vollständige Regelung im BGB, die – von dem Normkomplex für das neue Gesellschaftsregister abgesehen – ohne Verweisungen auf das HGB auskommt, in dem weiterhin allein das Sonderprivatrecht der Kaufleute enthalten ist".
Rz. 34
Zugleich vollzieht der Gesetzgeber die Angleichung des GbR-Rechts an das OHG-Recht, das die Judikatur in den letzten Jahrzehnten vorgenommen hat, nach. Dies hat die Überführung zahlreicher Regelungen in den §§ 105 ff. HGB in das neue GbR-Recht erforderlich gemacht, was zu einer höheren Regelungsdichte der §§ 705 ff. BGB führt, die aber eine übersichtliche Gliederung (in sechs Kapitel) im Untertitel 2 (Rechtsfähige Gesellschaft) erfahren hat:
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Kapitel 1 – Sitz und Registrierung (§§ 706 bis 707d BGB) |
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Kapitel 2 – Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander und der Gesellschafter zur Gesellschaft (§§ 708 bis 718 BGB) |
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Kapitel 3 – Rechtsverhältnis der Gesellschaft zu Dritten (§§ 719 bis 722 BGB) |
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Kapitel 4 – Ausscheiden eines Gesellschafters (§§ 723 bis 728b BGB) |
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Kapitel 5 – Auflösung der Gesellschaft (§§ 729 bis 734 BGB) |
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Kapitel 6 – Liquidation der Gesellschaft (§§ 735 bis 739 BGB) |
Rz. 35
Das OHG-Recht basiert konzeptionell auf einer Ausgestaltung zusammengehörender Normenkomplexe – möglichst im Gleichlauf mit dem GbR-Recht –, um "dadurch die verbleibenden Strukturunterschiede von kaufmännischer und nicht kaufmännischer Personengesellschaft für den Rechtsanwender deutlich zum Ausdruck zu bringen".
2. Aspekte des Leitbildwandels
a) Loslösung der GbR vom römisch-rechtlichen Verständnis als vertragliches Schuldverhältnis hin zum Rechtssubjekt
Rz. 36
Die GbR kann nach § 705 Abs. 2 Hs. 1 BGB jetzt selbst Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen (gesetzliche Anerkennung der GbR als Rechtssubjekt mit korrespondierendem Leitbildwandel).
In der Rechtsformvariante "rechtsfähige GbR" ist sie wie die OHG, die KG und die Partnerschaftsgesellschaft "rechtsfähige Personengesellschaft" i.S.v. § 14 Abs. 1 BGB. Die Unterscheidung in § 14 Abs. 1 BGB zwischen "rechtsfähiger Personengesellschaft" und "juristischer Person" besteht fort.
Beachte:
Zugleich greift der Gesetzgeber neue wissenschaftliche Erkenntnisse auf, nach denen der wesentliche Unterschied zwischen juristischer Person und rechtsfähiger Personengesellschaft nicht mehr in der Rechtsfähigkeit nach außen, sondern im Grad der rechtlichen Verselbstständigung nach innen zu sehen ist – z.B. in § 711 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach einer GbR keine eigenen Anteile übertragen werden können, bzw. in § 712a Abs. 1 BGB, wonach beim Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters die GbR ohne Abwicklung erlischt und das Gesellschaftsvermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter übergehen kann.
b) Änderung der Vermögenszuordnung: vom Sondervermögen der Gesellschafter zum Vermögen der GbR
Rz. 37
Die für die GbR erworbenen "Rechte" und die gegen sie begründeten Verbindlichkeiten gehören nach § 713 BGB der GbR selbst (Vermögen der Gesellschaft) und nicht mehr den Gesellschaftern zur gesamten Hand (i.S.e. gesamthänderisch gebundenen Vermögens der Gesellschafter): Aufgabe des Gesamthandsprinzips.
In Bezug auf das Beteiligungsverhältnis stellt § 712 Abs. 1 BGB klar, dass der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters nicht eingezogen wird, sondern kraft Gesetzes auf die verbleibenden Gesellschafter übergeht (Anwachsung). Dies macht deutlich, dass die rechtsfähige Personengesellschaft der GbR gegenüber ihren Mitgliedern nicht vollständig rechtlich verselbstständigt ist.