1. Grundlagen
Rz. 11
Unfälle ereignen sich nicht immer durch Verschulden eines Verkehrsteilnehmers. So kann es zu Unfällen kommen, bei denen plötzlich und nicht vorhersehbar die Bremsen versagt hatten oder ein Reifen geplatzt war. Wegen des Fehlens des Verschuldens würde ein geschädigter Mitfahrer oder Passant leer ausgehen. Ein Anspruch gegen den Fahrer des den Unfall verursachenden Kraftfahrzeugs wäre nicht gegeben.
Die Lösung dieser für den Geschädigten vollkommen unverständlichen Regelung bietet § 7 Abs. 1 StVG.
§ 7 Abs. 1 StVG lässt die Haftung eintreten, ohne dass ein Verschulden gegeben ist (Gefährdungshaftung). Der Grundgedanke der Gefährdungshaftung ist, dass es eher gerechtfertigt ist, für die Fehler oder das Versagen eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers den Autofahrer oder Halter des Anhängers haftbar zu machen, der das den Unfall verursachende Fahrzeug in den Verkehr gebracht hat und aus ihm Vorteile zieht, als das Schadensrisiko auf den abzuwälzen, der ungeschützt den Gefahren, die von einem solchen Fahrzeug ausgehen, ausgesetzt ist. Wer im eigenen Interesse eine besondere Gefahrenquelle schafft, hat für daraus hervorgehende, auch bei aller Sorgfalt unvermeidbare Schädigungen einzustehen.
Auf der Basis der Gefährdungshaftung können Ansprüche auch gegen den Halter eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, hinter einem Kraftfahrzeug gezogen zu werden, gestellt werden. Ausgangspunkt für die Erweiterung der Haftung auf Halter von Anhängern, die dazu bestimmt sind, hinter einem Kraftfahrzeug gezogen zu werden, waren die zunehmenden Unfälle von Lkw- oder Wohnwagengespannen. Oftmals hatte die geschädigte Person in der Aufregung nicht das Kennzeichen des Zugfahrzeugs aufgeschrieben, sondern nur dasjenige des Anhängers. Halter und Versicherer des Anhängers beriefen sich regelmäßig darauf, dass sie nach § 7 StVG weder zur Mitteilung noch zur Identifizierung des Zugfahrzeugs verpflichtet sind, verwiesen aber auf die Haftung des Fahrers und Halters des dem Geschädigten unbekannten Zugfahrzeugs. Der Regierungsentwurf verweist weiterhin darauf, dass die Verkehrsopferhilfe diese Fälle als Schäden durch nicht ermittelte Fahrzeuge nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 PflVG mit den sich aus § 12 Abs. 2 PflVG ergebenden Einschränkungen behandelt. Schmerzensgeld wird demnach nur in besonderen Härtefällen bezahlt, für den Schaden am Fahrzeug besteht keine Leistungspflicht. Eine Änderung hat die Umsetzung der 5. Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinie gebracht. Danach kann der Schaden am Fahrzeug bei einem bedeutenden Körperschaden ebenfalls gefordert werden, da dann nicht davon auszugehen ist, dass der Schaden am Fahrzeug in betrügerischer Absicht als "Unfallfluchtschaden" geltend gemacht wird.
2. Haftungsausschluss bei "höherer Gewalt"
Rz. 12
§ 7 Abs. 2 StVG stellt für den Haftungsausschluss auf den Begriff "höhere Gewalt" ab (Gesetzestext im Anhang des Buches abgedruckt, siehe § 4 Rdn 2).
Bei Unfällen zwischen Kraftfahrzeugen und nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern, also z.B. Fußgängern oder Fahrradfahrern, ist die Gefährdungshaftung nur noch ausgeschlossen, wenn der Unfall auf höhere Gewalt zurückzuführen ist. Das "unabwendbare Ereignis" ist im Zusammenhang mit der Betrachtung von Unfällen zwischen motorisierten Verkehrsteilnehmern, bei denen kein Personenschaden entstanden ist, als Kriterium für den Haftungsausschluss beibehalten worden.
Der Sorgfaltsmaßstab des § 7 Abs. 2 StVG a.F. kann deshalb in vollem Umfang für diese Fälle beibehalten werden. Die Rechtsprechung zum "unabwendbaren Ereignis" greift also nach wie vor für Unfälle zwischen motorisierten Verkehrsteilnehmern.
"Unabwendbar" ist demnach ein Ereignis, das durch äußerst mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Von einem unabwendbaren Ereignis ist deshalb auch nach der Neuregelung in folgenden Fällen auszugehen:
▪ |
Zusammenstoß auf eigener Fahrbahn oder eigenem Fahrstreifen mit einem Entgegenkommenden, |
▪ |
dem Vorfahrtsberechtigten fährt im letzten Augenblick ein Wartepflichtiger mit großer Geschwindigkeit unmittelbar vor den Wagen, |
▪ |
ein nicht rechtzeitig wahrnehmbarer Stein wird von einem vorausfahrenden Kraftfahrzeug in die Windschutzscheibe eines anderen geschleudert. |
Auch nach der Änderung des Standorts des Entlastungsbeweises, nunmehr in § 17 Abs. 3 StVG, liegt nach wie vor kein unabwendbares Ereignis z.B. in folgenden Fällen vor:
▪ |
Rutschen und Schleudern auf nasser Fahrbahn, |
▪ |
Zusammenstoß auf einer Kreuzung mit einem mit Blaulicht und Martinshorn fahrenden Sonderfahrzeu... |