Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
a) Zuständigkeit und anwendbares Recht
Rz. 19
Bei internationalen Erbfällen kommt es also schon für die Frage des anwendbaren Rechts entscheidend darauf an, welche Gerichte zuständig sind; aus wessen Sicht also der Fall zu lösen ist/zu lösen sein wird. Es stellt sich damit das Problem der internationalen Zuständigkeit.
b) Durchsetzung der Entscheidung
Rz. 20
Auf die Frage der Internationalen Zuständigkeit kommt es daneben insbesondere für die Durchsetzung der Entscheidung an. Grundsätzlich gilt insoweit, dass ein Urteil "unproblematisch" nur in dem Land vollstreckt werden kann, dessen Gerichte die Entscheidung erlassen haben. Soll dagegen die Entscheidung eines Gerichtes des Staates X im Staate Y durchgesetzt werden, muss die Entscheidung zunächst anerkannt werden. Ob die Entscheidung überhaupt anerkennungsfähig ist, entscheidet sich nach dem Recht des Staates Y, welches auch die Frage regelt, ob und wie die Entscheidung des Staates X im Staate Y vollstreckt werden kann (besondere Schwierigkeiten bereitet die Umsetzung eines ausländischen Urteils, soweit dort Rechtsfolgen vorgesehen sind, die mit dem Recht des Staates, in dem die Entscheidung vollstreckt werden soll, nicht vereinbar sind; solche Urteile werden selten durchsetzbar sein).
Rz. 21
Ähnliches gilt für Entscheidungen, die nicht dem Prozessgericht obliegen – nach deutschem Rechtsverständnis also z.B. Entscheidungen in einem Verfahren nach dem FamFG (Stichwort hier: Nachlassgericht/Erbschein). Der im Staate X erteilte Erbschein (oder das jeweils nationale Pendant dazu) wirkt grundsätzlich nur im Staate X, nicht im Staate Y.
Es kommt also bei einem internationalen Erbfall nicht nur darauf an, wie der Fall aus dem Blickwinkel eines deutschen Rechtsanwenders gelöst wird, sondern u.U. auch oder sogar vorrangig (wegen des jeweils anzuwendenden/vorzuschaltenden Kollisionsrechts – IPR des Forumstaates) darauf an, wie der gleiche Fall im Ausland gelöst wird/zu lösen ist.
Neben der sachlichen, örtlichen und gegebenenfalls funktionellen Zuständigkeit geht es dabei zunächst um die Internationale Zuständigkeit: Die Internationale Zuständigkeit betrifft die Frage, welchen Staates Gerichte berufen sind, den Fall zu entscheiden.
c) Regelungen zur Internationalen Zuständigkeit
Rz. 22
Die Frage der Internationalen Zuständigkeit ist – insofern genau wie beim Kollisionsrecht – ebenfalls nicht einem übergeordneten internationalen einheitlichen Recht zu entnehmen; es gibt auch insoweit kein Einheitsrecht (abgesehen von den EU-Verordnungen, im Einzelnen hierzu siehe unten Rn 26 ff.). Ob die Gerichte eines Landes sich für international zuständig erachten, fußt vielmehr auf dem nationalen – jeweils eigenen – Prozessrecht des Staates, der seine Zuständigkeit prüft. Jeder Staat bestimmt also selbst, wann seine Gerichte international zuständig sind, d.h. wann die eigenen Gerichte berufen sind, einen Fall mit internationalen Bezügen zu entscheiden.
Das jeweils einschlägige nationale Verfahrensrecht regelt somit, ob ein Staat sich für international zuständig erachtet. Dabei kann das nationale Prozessrecht naturgemäß nur regeln, ob die Gerichte des eigenen Staates zuständig sind oder nicht; eine Regelung der Gestalt, dass die Gerichte eines anderen Staates zuständig (bzw. nicht zuständig sind), kann nicht getroffen werden.
Rz. 23
Auf das obige Beispiel (siehe Rn 20) bezogen: Staat X kann nur regeln, wann seine Gerichte international zuständig sind; eine Bestimmung darüber, ob und wann die Gerichte im Staat Y international zuständig sind, kann das Recht von X nicht treffen.
Nur für die Frage der Internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte ist somit deutsches Verfahrensrecht (ZPO oder FamFG) maßgeblich; ob die Gerichte eines anderen Staates zuständig sind, bestimmt sich dagegen nach dessen Verfahrensrecht.
Damit ist der Berater bei einem internationalen Erbfall vor die Aufgabe gestellt, fremdes Recht in drei Bereichen berücksichtigen zu müssen:
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Fremdes Verfahrensrecht |
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Fremdes Kollisionsrecht |
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Fremdes Sachrecht |
Es stellt sich (vor allem für den Notar) die Frage, wie die "Berücksichtigung" ausländischen Rechts in die Beratungspraxis einzufließen hat, genauer: muss der Notar das ausländische Recht kennen?