Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 48
Während die ersten Verordnungen der EU sich auf das Verfahren bezogen haben, gibt es inzwischen (seit dem Jahre 2009) auch EU-Vorordnungen zum Kollisionsrecht; die derzeit anwendbaren Verordnungen beziehen sich auf den Bereich des außervertraglichen und vertraglichen Schuldrechts, auf den Bereich der Scheidung und die Unterhaltspflichten. Im Hinblick auf den Unterhalt liegt allerdings keine Verordnung vor, sondern der Rat (der EU) hat am 30.11.2009 den Abschluss des Haager Protokolls vom 23.11.2007 durch die Europäische Gemeinschaft beschlossen. Das Haager Protokoll war ursprünglich ein völkerrechtliches Übereinkommen, welches nun in der EU verbindlich angewendet wird und in den Mitgliedstaaten gilt; das Haager Protokoll regelt das Kollisionsrecht der EU für Unterhaltsfragen. Grundsätzlich ist danach das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten maßgebend.
Rz. 49
In diesen Bereichen – Schuldrecht, Scheidungsrecht und Unterhaltsrecht – sind daher die nationalen Kollisionsvorschriften (die jeweils nationalen IPR-Regelungen der EU-Mitgliedstaaten und damit auch die entsprechenden deutschen Regelungen des EGBGB) fast vollständig verdrängt.
I. Schuldrecht
1. Außervertragliches Schuldrecht
Rz. 50
Seit dem 11.1.2009 gilt die "Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates" über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II"). Mit dieser VO wurde (erstmalig) auch die Frage des anwendbaren Rechts EU-weit einheitlich geregelt; diese VO war damit das erste Regelwerk zu einem einheitlichen Kollisionsrecht.
2. Vertragliches Schuldrecht
Rz. 51
Noch im gleichen Jahr folgte die Vereinheitlichung der Kollisionsregeln für das Vertragsrecht, und zwar mit der Verordnung (EG) Nr. 593/2008, der "Rom I Verordnung" für den Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse. Diese VO ist seit dem 17.12.2009 in Kraft.
Auch diese VO regelt nun eigenständig, wie das anwendbare Recht zu bestimmen ist und schafft damit EU-weit ein einheitliches Kollisionsrecht in diesem Bereich. Sowohl im vertraglichen als auch im außervertraglichen Schuldrecht herrscht damit innerhalb der EU ein einheitliches Anknüpfungssystem und die autonomen Kollisionsrechte der EU Mitgliedstaaten werden in diesem Bereich durch das EU Einheitsrecht zum IPR vollständig verdrängt. Es gilt also seither in diesem Bereich ein europäisches IPR.
Rz. 52
Mit diesen beiden Verordnungen wurde erstmalig nicht nur das Verfahrensrecht innerhalb der EU Mitgliedstaaten (Internationale Zuständigkeit/Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen) vereinheitlicht, sondern auch das Kollisionsrecht: EU-weit wird seither das anwendbare Recht im Bereich des vertraglichen und außervertragliche Schuldrechts gemäß der Verordnungen Rom I und Rom II einheitlich angeknüpft. Dem obigen Beispiel folgend wendet also jedes Gericht in den Mitgliedstaaten, welches nach der Brüssel I VO zuständig ist, nicht mehr sein eigenes autonomes Kollisionsrecht an, sondern die Kollisionsregeln der Verordnung Rom II (so weit es um das Deliktsrecht geht) bzw. Rom I (im Hinblick auf das anwendbare Recht bei vertraglichen Schuldverhältnissen).
II. Ehescheidung
Rz. 53
Inzwischen (seit dem 20.12.2010) ist darüber hinaus die Verordnung Rom III ("Scheidungs-Verordnung") in Kraft; sie wird für Trennungs- und Ehescheidungsverfahren angewendet, die ab dem 21.6.2012 eingeleitet worden sind. Allerdings beteiligen sich an dieser Verordnung bisher nicht alle, sondern nur 14 EU-Mitgliedstaaten, sodass ein europäisches Kollisionsrecht der zwei Geschwindigkeiten entsteht, weil sich eine Vielzahl der Mitgliedstaaten verweigert hat. Diese Verordnung beruht auf dem Verfahren nach Art. 20 EUV (verstärkte Zusammenarbeit siehe oben Rn 38) und bildet daher auch einen möglichen Präzedenzfall für weitere Verordnungen, denen nicht alle, sondern nur einige Mitgliedstaaten beitreten wollen. Die Verordnung strebt zwar die Teilnahme möglichst vieler weiterer Mitgliedsstaaten an, ob allerdings weitere Staaten hinzukommen, ist derzeit offen.
Rz. 54
Die Rom III Verordnung gilt gem. ih...