Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
1. Typische Situationen
Rz. 8
Bei einem Fall mit Auslandsbezug stellen sich der rechtsberatenden Praxis (insofern nicht anders als bei einem reinen Inlandsfall) im Wesentlichen zwei unterschiedliche Problemkreise, nämlich die Beratung der Hinterbliebenen bei einem Erbfall (also der Erben, Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtigten etc.) einerseits, und die Beratung des Erblassers bei der Planung des Vermögensübergangs auf die Rechtsnachfolger andererseits. Geht es um die Gestaltung, darf den Überlegungen naturgemäß nicht nur das nationale Recht zugrunde gelegt werden, sondern auch das Recht des beteiligten ausländischen Staates (gegebenenfalls auch eine Reihe anderer Rechte – z.B. wenn der Erblasser Vermögen in verschiedenen Ländern hat) muss berücksichtigt werden; zumindest muss der Berater sich darüber im klaren sein, dass ausländisches Recht zur Anwendung gelangen kann.
2. Ausgangspunkt der Überlegungen
Rz. 9
Bei einem internationalen Erbfall sind dabei häufig folgende Fragen zu klären:
▪ |
Welches Recht ist aus deutscher Sicht auf den Erbfall anwendbar? |
▪ |
Welches Recht ist aus Sicht eines anderen Staates auf den Erbfall anwendbar? |
▪ |
Wie kann die Erbfolge nachgewiesen werden? |
▪ |
Wird der inländische Nachweis im Ausland anerkannt (z.B. im Bankwesen/im Grundbuchwesen)? |
▪ |
Wird der ausländische Nachweis im Inland anerkannt? |
▪ |
Wie/wo kann die Erbscheinverhandlung durchgeführt werden (reicht z.B. die Erbscheinsverhandlung vor einem deutschen Notar für einen im Ausland zu erteilenden Erbnachweis aus)? |
▪ |
Kann ein deutscher Erbschein nach einer im Ausland geführten Erbscheinverhandlung erteilt werden? |
▪ |
Wirkt eine in Deutschland erklärte Erbausschlagung auch für ausländisches Vermögen? |
▪ |
Wirkt eine im Ausland erklärte Erbausschlagung für inländisches Vermögen? |
▪ |
Wirkt eine nach deutschem Recht errichtete Verfügung von Todes wegen auch im Ausland? |
▪ |
Wirkt eine nach ausländischem Recht errichtete Verfügung von Todes wegen auch im Inland? |
▪ |
Nach welchem Recht richten sich die Pflichtteilsansprüche? |
▪ |
Welches Vermögen ist für die Wertberechnung maßgeblich? |
▪ |
Wo kann (z.B.) auf Erfüllung eines Vermächtnisses geklagt werden? |
▪ |
Wird ein inländisches Urteil im Ausland anerkannt? |
▪ |
Wird ein ausländisches Urteil im Inland anerkannt? |
▪ |
Wie kann ein solches Urteil vollstreckt werden? |
▪ |
Kann der Erblasser das anwendbare Recht wählen? |
3. Zentrale Frage: Welches Recht ist anwendbar?
Rz. 10
Bevor die Frage, wer Erbe geworden ist (bzw. unter dem Gesichtspunkt der Planung der Vermögensnachfolge: wer Erbe werden wird), beantwortet werden kann, stellt sich bei einem internationalen Erbfall das Problem der Ermittlung des auf den Fall anwendbaren Rechts.
Diese Frage "welches Recht ist anwendbar?" wird mit dem Instrumentarium des Internationalen Privatrechts gelöst.
a) Begriff "Internationales Privatrecht" (IPR)/Kollisionsrecht
Rz. 11
Das Internationale Privatrecht hat die Aufgabe, die auf den jeweiligen Sachverhalt anwendbare Rechtsordnung zu bestimmen. Es geht also um "Rechtsanwendungsrecht", nämlich die Auswahl der maßgeblichen Privatrechtsordnung in Fällen, bei denen alternativ mehrere Rechte zur Anwendung bereitstehen. Das Internationale Privatrecht ist das Rechtsgebiet, dem die Auswahlentscheidung obliegt, welchen Staates Recht im Einzelfall anzuwenden ist. Dabei wird unter den verschiedenen zur Verfügung stehenden Rechtsordnungen nicht nach deren Qualität ausgewählt (also nicht danach, welche Rechtsordnung die "beste" ist), sondern danach, mit welcher Rechtsordnung der Sachverhalt die engste Verbindung aufweist.
Rz. 12
Ein Synonym zum Begriff internationales Privatrecht findet sich in dem Begriff Kollisionsrecht. Dieser Begriff hat sich eingebürgert, weil gewissermaßen verschiedene Rechtsordnungen – verschiedene nationale Erbrechte – miteinander kollidieren. Das Kollisionsrecht (bzw. die kollisionsrechtliche Norm) wählt aus den in Frage kommenden (Erb-)Rechten dasjenige aus, welches berufen ist, den Fall zu regeln. Der Begriff "Kollisionsrecht" wird zumeist in Abgrenzung zum Begriff "Sachrecht" (nicht Sachenrecht) benutzt: das Kollisionsrecht klärt, welchen Staates Sachrecht (hier: Erbrecht) Anwendung findet.
Rz. 13
Der Begriff "internationales Privatrecht" ist allerdings irreführend. Es geht nämlich nicht um ein Recht, welches überall gilt, sondern das "internationale" Privatrecht ist trotz dieses Namens gerade kein Einheitsrecht (mit weltweiter übergeordneter Geltung, wie etwa das Völkerrecht), sondern das IPR (oder Kollisionsrecht) ist nationales Recht. Damit nicht genug, jedes Land hat sein eigenes internationales Privatrecht. International ist also nicht das Recht, welches Anwendung findet, sondern der Sachverhalt.