Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 41
Den Anfang machten Verordnungen über die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, nämlich
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Die EuGVO (genannt häufig auch Brüssel – I VO inzwischen bereits neugefasst durch die noch weitergehende Brüssel I a VO) |
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die EuEheVO (genannt häufig auch Brüssel – II a – VO). |
Mit diesen – bahnbrechenden – Verordnungen wurde die Internationale Zuständigkeit der mitgliedsstaatlichen Gerichte EU-weit einheitlich geregelt, sodass seither in den von den Verordnungen erfassten Bereichen innerhalb der EU Einheitsrecht gilt. Mit der EU-einheitlichen Regelung zur Internationalen Zuständigkeit konnte damit die generelle Anerkennung von Entscheidungen innerhalb der EU Mitgliedstaaten statuiert werden. So sehen Art. 33 der EuGVO (Brüssel I VO)/Art. 36 der Brüssel I a VO) und Art. 21 der EuEheVO (Brüssel II a VO) die ("automatische") Anerkennung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten vor, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.
Rz. 42
Damit ist auch die Vollstreckbarkeit innerhalb der EU Mitgliedstaaten ("unproblematisch") gewährleistet; es bedarf also auch für die Vollstreckungsfähigkeit von EU-Entscheidungen in diesem Bereich keines vorgeschalteten eigenständigen Verfahrens in dem Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates vollstreckt werden soll. Im Rahmen der Brüssel II a VO genügt eine inländische Vollstreckbarerklärung; die (neue) Brüssel I a VO sieht sogar von diesem Erfordernis ab (vgl. Art 39 Brüssel I a VO).
Rz. 43
Hervorzuheben ist ferner, dass die EU Verordnungen grundsätzlich nicht voraussetzen, dass die Beteiligten die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates haben. Vielmehr reicht es in den meisten Fällen aus, dass die Parteien ihren Wohnsitz oder Aufenthalt in einem Mitgliedstaat haben, auf die Staatsangehörigkeit kommt es grundsätzlich nicht an.
Rz. 44
Bis zum Jahr 2008 bezogen sich die Regelungen der EU nur auf den Bereich der Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, es lagen dagegen keine EU-Regelungen zur Frage des anwendbaren Rechts vor.
Aus deutscher Sicht wurden also nur die nationalen deutschen Verfahrensvorschriften über die Internationale Zuständigkeit verdrängt, wobei die Brüssel I VO (bzw. die neue Brüssel I a VO) in ihrem Geltungsbereich die Regelungen der Internationalen Zuständigkeit der ZPO verdrängt, die Brüssel II a VO die entsprechenden Regelungen des FamFG (bzw. des damals noch geltenden FGG) zur Internationalen Zuständigkeit.
Rz. 45
Es kam damit regelmäßig zu einem Nebeneinander von EU Recht und nationalem Recht; nur für die Frage der Internationalen Zuständigkeit der (deutschen) Gerichte waren die EU Regelungen zu berücksichtigen (die den nationalen Zuständigkeitsregelungen gegenüber Vorrang genießen) für die Frage des anwendbaren Rechts dagegen konnte mangels vorrangigen EU Rechts auf die nationalen Vorschriften (und damit in Deutschland auf das EGBGB) zurückgegriffen werden.
Rz. 46
Beispiel:
Die Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist z.B. nach Art. 2 Abs. 1 der Brüssel I Verordnung (jetzt Art 4 der Brüssel I a Verordnung) begründet bei einer Schadensersatzklage aus unerlaubter Handlung, wenn der Beklagte in Deutschland seinen Wohnsitz hat (auf die Staatsangehörigkeit kommt es nicht an). Regelungen zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit enthält die Brüssel I Verordnung nicht (ebenso nicht die Brüssel I a Verordnung), insofern kann auf die innerstaatlichen Regelungen zurückgegriffen werden (in Deutschland also ZPO und GVG, je nach Streitwert ist also das AG/LG zuständig).
Das deutsche Gericht muss nun überlegen, welches Recht anwendbar ist. Für diese Frage wendete es – bis zum Ende des Jahres 2008 – Art. 40 EGBGB (also deutsches Kollisionsrecht) an. Danach unterliegen Ansprüche aus unerlaubter Handlung grundsätzlich dem Tatortrecht, d.h. dem Recht des Ortes, an dem der Schädiger gehandelt hat (vgl. Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB).
Das Urteil des deutschen Gerichts fußte in der Sache also auf fremdem Recht, wenn der Tatort im Ausland lag. Das deutsche Urteil ist in allen Mitgliedstaaten vollstreckbar (z.B. wenn sich Vermögen des Beklagten in einem anderen Mitgliedstaat befindet), wobei es insbesondere nicht darauf ankommt, ob die Kollisionsregeln des Mitgliedstaates, in dem das deutsche Urteil vollstreckt werden soll, ebenfalls zur Anwendung desjenigen Rechts führen, welches das deutsche Urteil nach deutschem IPR zugrunde gelegt hat.
Gerade in dem Staat, dessen Recht angewendet worden ist, ist das deutsche Urteil aber möglicherweise nicht vollstreckbar (sofern dieser kein Mitgliedstaat ist), obwohl das deutsche Gericht das Recht dieses Staates seiner Entscheidung in der Sache zugrunde gelegt hatte.