Rz. 78
Mit § 709 Abs. 3 BGB (kapitalistischer Verteilungsschlüssel) steht zu erwarten, "dass sich das Mehrheitsprinzip in der Praxis noch stärker durchsetzen wird" mit der Folge, dass sich der Schutz der Mitgliedschaftsrechte eines Gesellschafters gegen Mehrheitsbeschlüsse auf die Ebene der materiellen Beschlusskontrolle verlagern wird.
Vor diesem Hintergrund soll für Beschlussmängelstreitigkeiten bei den Personenhandelsgesellschaften OHG und KG unter Rückgriff auf das aktienrechtliche Anfechtungsmodell mit Mindestanforderungen an die Formalisierung des Beschlussverfahrens ein geeigneter Regelungsrahmen geschaffen werden – mit der Möglichkeit einer Abbedingung (opt-out-Möglichkeit).
Beachte:
"Umgekehrt können die Gesellschafter einer GbR oder einer Partnerschaftsgesellschaft für das neue Beschlussmängelrecht optieren" (opt-in-Möglichkeit).
1. Beschlussfassung
Rz. 79
Im Interesse der Schaffung von Rechtssicherheit über die Bestandskraft eines Beschlusses statuiert § 109 HGB bestimmte Mindestanforderungen im Hinblick auf die Anforderungen, die an eine Beschlussfassung in einer Gesellschafterversammlung zu stellen sind.
Rz. 80
Von der Beschlussfassung ist die Beschlussfeststellung zu unterscheiden, mit der ein gefasster Beschluss durch einen Versammlungsleiter verbindlich dokumentiert wird. Wenngleich die Beschlussfeststellung nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Beschlusses ist, kommt ihr insoweit konstitutive Wirkung zu, als "sie die Rechtsschutzmöglichkeiten in Gestalt der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage oder der Feststellungsklage vorgibt".
Rz. 81
Sowohl die Modalitäten der Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter als auch die Vorfrage, unter welchen Voraussetzungen ein Beschluss zustande kommt (was sich nach allgemeiner Rechtsgeschäftslehre bestimmt), "entziehen sich (…) einer abstrakt-generellen Regelung und müssen deswegen einer Klärung durch die Rechtsprechung vorbehalten bleiben".
2. Beschlussmängelsystem
Rz. 82
Da Beschlussmängel sowohl das Beschlussverfahren als auch den Beschlussinhalt betreffen können, erfolgt in Bezug auf die Fehlerfolgen in § 110 HGB eine Unterscheidung zwischen der Anfechtbarkeit (wobei jeder Beschluss anfechtbar ist, der Rechtsvorschriften i.S.e. jeden Rechtsnorm oder den Gesellschaftsvertrag verletzt) und der Nichtigkeit eines Beschlusses. Nichtig ist ein Beschluss nur dann, wenn durch seinen Inhalt Rechtsvorschriften verletzt werden, auf die die Gesellschafter nicht verzichten können.
Rz. 83
Verfahrensfehler führen im weitgehend formlos ausgestalteten Beschlussverfahren grundsätzlich nur zur Anfechtbarkeit.
Rz. 84
Inhaltsfehlern basieren maßgeblich auf den durch zwingendes Recht gezogenen Gestaltungsgrenzen beim Beschlussinhalt: Die Gesellschafter dürfen über die Fehlerfolge nur insoweit disponieren, "als sie auch befugt sind, über die verletzte Rechtsvorschrift zu disponieren", wobei diese Gestaltungsgrenzen im Personengesellschaftsrecht weiter gezogen sind als im Aktienrecht.
Rz. 85
"Welche Rechtsvorschriften zum zwingenden Recht gehören, entzieht sich einer abstrakt-generellen Regelung".
"Zwingendes Recht" sind i.d.R. solche Rechte, die zum unverzichtbaren Kernbereich der Mitgliedschaft gehören (d.h. absolut unentziehbare Rechte wie bspw. das Klagerecht gegen rechtswidrige Gesellschafterbeschlüsse).
Etwas anderes gilt für Rechte, die zwar ebenfalls zum Kernbereich der Mitgliedschaft gehören, "in die aber nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters eingegriffen werden darf" (relativ unentziehbare Rechte wie bspw. Sonderrechte eines Gesellschafters). Bei fehlender Zustimmung ist der Beschluss weder nichtig noch anfechtbar, sondern unwirksam.
3. Beschlussmängelklagen
Rz. 86
Nach der Qualifikation der Fehlerfolgen beurteilt sich die Rechtsschutzmöglichkeit: Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage bzw. Feststellungsklage als mögliche Beschlussmängelklagen.
Anfechtungsgründe werden von dem anfechtungsbefugten Gesellschafter durch befristete Anfechtungsklage gegen die Gesellschaft geltend gemacht.
Nichtigkeitsgründe können – außer durch eine Nichtigke...