Rz. 44

Zwar gehört die vollständige und wahrheitsgemäße Erteilung der maßgeblichen Sachverhaltsinformationen und die Überlassung bzw. Mitteilung der zu ihrem Beleg erforderlichen Beweismittel zu den vornehmsten Pflichten der rechtssuchenden Mandanten. Auch mag daraus abgeleitet werden, dass der Rechtsanwalt auf die Richtigkeit und die Vollständigkeit der tatsächlichen Angaben seines Auftraggebers vertrauen darf.

 

Rz. 45

Den vorstehend formulierten Grundsatz relativiert der BGH aber in der Weise, dass jedenfalls beim unbeschränkten Mandat von Beginn an eine Sachverhaltsaufklärungspflicht des Anwalts besteht und dass vom Anwalt kein Vertrauen in die Richtigkeit und die Vollständigkeit mitgeteilter sog. Rechtstatsachen und rechtlicher Wertungen gesetzt werden kann, da solche Angaben der regelmäßig rechtsunkundigen Mandanten unzuverlässig sind.[11]

 

Rz. 46

Der Anwalt hat dann die zugrunde liegenden, für die rechtliche Prüfung bedeutsamen Umstände und Vorgänge zu klären, indem er seinen Mandanten unter Berücksichtigung dessen Bildungs- und Verständnishorizont gezielt befragt und von diesem einschlägige Unterlagen erbittet; der BGH nimmt in diesem Zusammenhang einen Anscheinsbeweis der Vermutung richtiger und vollständiger Information durch den Mandanten an.[12]

 

Rz. 47

Falls den Umständen nach mit Rücksicht auf die – ebenfalls genau zu klärenden[13] – Zielsetzungen des Mandanten für eine zutreffende rechtliche Einordnung die Kenntnis weiterer Tatsachen erforderlich und deren Bedeutung für den Mandanten nicht ohne Weiteres ersichtlich ist, muss sich ein Anwalt um zusätzliche Aufklärung bemühen.[14]

 

Rz. 48

Wenn die Befragung des Mandanten bzw. die an diesen herangetragene Bitte um weitere Informationen keine zuverlässige Klärung verspricht, ist der Anwalt nach Auffassung des BGH sogar zu weiteren Ermittlungen gehalten, wenn sie erforderlich und zumutbar sind.[15]

 

Rz. 49

Die schon erwähnten Rechtstatsachen (wie etwa Firmenbezeichnungen und Rechtsformzusätze oder Zustelldaten behördlicher und gerichtlicher Schreiben) darf der Rechtsanwalt nicht ungeprüft vom Mandanten übernehmen. Vielmehr muss er zuverlässige Auskünfte beschaffen, indem er sich den Briefumschlag mit Zustelldatum geben oder – was häufiger infolge des unbedarften Wegwerfens des Umschlags der Fall ist – bei Gerichten und Behörden das genaue Zustelldatum erfragt oder Einsicht in Register und Akten nimmt.[16]

 

Rz. 50

In der Rechtsprechung zeichnen sich somit Tendenzen ab, bei denen der einleitend erwähnte Grundsatz, der Anwalt könne sich auf die Erteilung vollständiger und richtiger Informationen durch den Mandanten verlassen, in sein Gegenteil verkehrt erscheint.

[11] BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZR 232/01 – Rn 22, juris =NJW-RR 2006, 923 = WM 2006, 927; Urt. v. 20.6.1996 – IX ZR 106/95 – Rn 26, jurion = NJW 1996, 2929= VersR 1997, 187 = WM 1996, 1832; 22.
[12] BGH, Urt. v. 20.6.1996 – IX ZR 106/95 – Rn 31, jurion = NJW 1996, 2929 = VersR 1997, 187 = WM 1996, 1832; Urt. v. 10.2.1994 – IX ZR 109/93 – Rn 37, 44, jurion = NJW 1994, 1472 = VersR 1994, 938 = WM 1994, 1194.
[13] Fahrendorf/Mennemeyer/Fahrendorf, Rn 479 ff.
[14] BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZR 232/01 – Rn 22, juris = NJW-RR 2006, 923, = WM 2006, 927.
[15] BGH, Urt. v. 20.6.1996 – IX ZR 106/95 – Rn 26, jurion = NJW 1996, 2929, = VersR 1997, 187 = WM 1996, 1832.
[16] BGH, Urt. v. 2.4.1998 – IX ZR 107/97 – Rn 26 f. jurion = NJW 1998, 2048 = MDR 1998, 930 = WM 1998, 1542; Urt. v. 21.4.1994 – IX ZR 150/93 = NJW 1994, 2293 = MDR 1994, 837 = VersR 1994, 1344.

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