Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 1
Die Darstellung einzelner Haftungsrisiken im zweiten Abschnitt dieses Buches erscheint verständlicher, wenn man sich den allgemeinen Haftungsrahmen für die Berufsausübung von Anwälten vor Augen führt. Denn in einzelnen Fällen ist die von der Rechtsprechung praktizierte Annahme anwaltlicher Pflichten gerade vor dem Hintergrund eines erst kürzlich abgeschlossenen Studiums oder Referendariats – aber nicht nur dann – kaum verständlich.
I. Anspruchsgrundlagen
Rz. 2
Die Haftung des Rechtsanwalts ist – abgesehen von der Pflicht zur unverzüglichen Mandatsablehnung in § 44 BRAO – nicht gesondert geregelt worden. Regelmäßig werden Regressansprüche auf die Bestimmungen der §§ 241, 280 und 311a BGB gestützt. Diese früher entsprechend aus den Instituten der p.V.V. und c.i.c. abgeleiteten Anspruchsgrundlagen führen zu einem insbesondere vom für die Anwaltshaftung zuständigen IX. Zivilsenat des BGH stark richterrechtlich geprägten Haftungsrahmen.
Rz. 3
Vor allem seit der auf das gesamte Bundesgebiet bezogenen Einführung einer Pflicht der Anwälte, sich gegen die Risiken und Haftpflichtgefahren aus ihrer Berufstätigkeit zu versichern, im Jahr 1994 ist eine sukzessive Ausweitung des anwaltlichen Pflichtenkatalogs vollzogen worden, um so dem Verbraucherschutzgedanken moderner Prägung besonderen Ausdruck zu verleihen. Diese Entwicklung ist immer wieder kritisiert worden, auch "prominent" durch das BVerfG.
Rz. 4
So hatte das BVerfG in einem Nichtannahmebeschluss am 12.8.2002 angemahnt, dass man nicht mithilfe eines beliebig variierbaren Katalogs an anwaltlichen Sorgfaltspflichten etwa bloß wegen ihrer Berufshaftpflichtversicherung, welche die Anwälte nach § 51 BRAO unterhalten müssen, "den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung […] überbürden" könne.
Rz. 5
Allerdings hat sich dadurch an der zivilrechtlichen Rechtsprechung nichts geändert, auch weil es dem anwaltlichen Selbstverständnis gem. den Statuten in § 1 Abs. 3 BORA entspricht, dass Anwälte gerichtlichen und behördlichen Fehlern entgegenwirken. Ferner drohten auch nicht unerhebliche Schäden am Bild von Justiz und Anwaltschaft, falls ein betroffener Mandant wegen eines Gerichtsfehlers weder beim Anwalt noch beim Staat wegen des sog. Spruchrichterprivilegs nach § 839 Abs. 2 BGB Regress im Wege der Amtshaftung nehmen könnte.
Rz. 6
Dies gilt umso mehr, als die obligatorische Berufshaftpflichtversicherung für Anwälte gerade aus Gründen des Verbraucherschutzes eingeführt wurde, über die sich finanzielle Nachteile behördlichen und gerichtlichen Fehlverhaltens weitgehend ohne spürbaren Nachteil für den in die Haftung genommenen Rechtsanwalt sozialisieren lassen.
Rz. 7
Deshalb ist der Anwalt unter Berücksichtigung des "Gebots des sichersten Weges" verpflichtet, seine Mandanten vor allen vorhersehbaren und vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. Jenseits dieses vom BGH in ständiger Rechtsprechung bemühten Obersatzes ist eine weitere Präzisierung der ganz überwiegend auf Richterrecht beruhenden Sorgfaltsanforderungen für Anwälte nicht möglich.
Rz. 8
Aufgrund der mangelnden Konturen des allgemeinen Haftungstatbestands in § 280 BGB und der steten Zunahme des Verbraucherschutzgedankens muss daher im Ausgangspunkt immer ein schuldhafter Anwaltsfehler in Erwägung gezogen werden, wenn etwas trotz seiner Beteiligung nicht regelkonform abgelaufen ist.
II. Einordnung des Anwaltsvertrags
Rz. 9
Die vorstehende Aussage ist aber schon insoweit zu präzisieren, als weniger die Qualifikation des Beteiligten als Anwalt und mehr die Qualifizierung des zugrunde zu legenden Vertragsverhältnisses als anwaltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 BGB, der die Rechtsberatung und Rechtsbesorgung i.S.d. § 3 BRAO, § 1 Abs. 3 BORA zum Gegenstand hat, von Bedeutung ist.
Rz. 10
Meist wird von Anwälten kein bestimmter Erfolg geschuldet, sodass das Anwaltsmandat als Dienstvertrag einzuordnen ist, der keine Gewährleistungsansprüche wie das Kauf- oder Werkvertragsrecht vermittelt. In Ausnahmefällen, etwa beim Auftrag zur Erstellung eines Vertrags, steht die Herbeiführung eines konkreten Erfolgs im Vordergrund – dann ist der Anwaltsvertrag ein Werkvertrag.
Rz. 11
Beim Werkvertrag stehen dem Mandanten im Gegensatz zum Dienstvertrag auch verschuldensabhängige Mängelansprüche zu. Primär ist der Rechtsanwalt bei Fehlern seines Werkes gem. § 635 Abs. 1 BGB zur Nacherfüllung, also zur Nachbesserung oder Neuherstellung seines Werkes verpflichtet, falls die Nacherfüllung nicht unmöglich oder unverhältnismäßig aufwendig ist. Außerdem besteht die Möglichkeit zur Selbstvornahme des Mandanten nach §...