Rz. 100

Ist die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft noch nicht erfolgt, so kann jeder einzelnen Miterben hinsichtlich eines zum Nachlass gehörenden Anspruches Leistung an sich nur dann verlangen, wenn[161]

er von den übrigen Erben dazu bevollmächtigt wurde oder
es sich um eine Notverwaltungsmaßnahme nach § 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB handelt oder
es sich um einen Unterlassungsanspruch oder
es sich um ein Individualrecht, das die anderen Miterben nicht berührt, handelt oder
eine rechtsmissbräuchliche Versagung der Mitwirkung durch die Miterben zuvor erfolgt ist.

Die (in der Praxis wichtigste) Ausnahme, Leistung an sich fordern zu dürfen, soll auch gelten, wenn die Klage zulässig das Ergebnis der Erbauseinandersetzung vorwegnimmt.

Dies ist dann gegeben, wenn die fragliche Forderung der einzige zur Verteilung reife Nachlassbestandteil ist oder der Schuldner der einzige weitere Miterbe ist und das Teilungsverhältnis feststeht.[162] Nach Wolf[163] soll auch dann ein Miterbe Leistung an sich verlangen können, wenn die Leistung allen Erben zugute kommt. Diese Auffassung ist missverständlich, denn grundsätzlich kommt nur eine Leistung an alle, auch den weiteren Miterben zugute. Ein derartiger Anspruch könnte aber nur nach Maßgabe des § 2039 BGB an alle Erben erfüllt werden. Gemeint sein können nur Maßnahmen, die auch Notgeschäftsführungsmaßnahmen darstellen wie z.B. Abwehrmaßnahmen gegen Eingriffe in den Nachlass.

 

Rz. 101

Eine Notgeschäftsführungsmaßnahme liegt dann vor, wenn eine Maßregel ohne sie, der Nachlass insgesamt oder Teile hiervon Schaden nehmen würde.[164] Notwendige Maßregeln sind zwangsläufig gleichzeitig Maßnahmen ordnungsgemäßer Verwaltung.[165] Entspricht eine Maßnahme nach billigem Ermessen schon nicht der Beschaffenheit des betreffenden Nachlassgegenstandes oder/und nicht dem Interesse aller Miterben (ordentliche Verwaltung), so kann sie erst recht nicht ein Fall der notwendigen Verwaltung sein. Daher müssen zunächst die Voraussetzungen der ordnungsgemäßen Verwaltung vorliegen.[166]

Ob der Miterbe ohne Beachtung des § 2039 BGB im Rahmen einer Notverwaltungsmaßnahme mit Leistung an sich klagen kann, hängt entscheidend vom Eingriff in das Recht der übrigen Miterben ab, wobei zudem darauf zu achten ist, wie weit sie daran interessiert sein können, an der Maßregel mitzuwirken.

Ist die Klage des Miterben gegen einen Dritten für die Erhaltung des Nachlasses erforderlich und wirkt sich die Maßregel auf den übrigen Nachlass nur gering und die anderen Miterben nur unbedeutend aus, so ist das Interesse an einer Mitwirkung der Miterben gleichfalls gering.[167] Die Klage kann dann notwendig i.S.v. § 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB sein, obwohl sie ohne Gefahr aufgeschoben und die Zustimmung der Erben eingeholt werden könnte.[168]

Im Unterschied zur generellen Berechtigung zur Notverwaltungsmaßnahme aus § 2038 BGB fragt man sich aber bei § 2039 BGB, warum es dennoch für den Miterben zulässig sein soll, die Leistung an sich und nicht gem. § 2039 BGB an alle Miterben zu fordern.

 

Rz. 102

M.E. muss die Behauptung, bei Vorliegen einer Notverwaltungsmaßnahme könne der Miterbe Leistung an sich verlangen, auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Miterbe von einem Dritten gerade keine Leistung, sondern nur ein Unterlassen fordert, weil diese Maßnahme zur Erhaltung des Nachlasses erforderlich ist.

Grundsätzlich kann nämlich jede andere Leistung – ohne den Nachlass in seiner Erhaltung zu gefährden – immer ohne weiteres an alle erbracht werden. Der einzelne Miterbe kann sogar auch die geschuldete Leistung für die Erbengemeinschaft annehmen, die dann in den Nachlass gem. § 2041 BGB fällt.

Nur in den Fällen, wo für die Erfüllung (= Annahme der Leistung) die tatsächliche Mitwirkung der Erbengemeinschaft (mithin der übrigen Erben) notwendig wäre, ließe sich ein Leistungsantrag an den einzelnen Miterben ebenfalls rechtfertigen. Ein solcher Fall wäre gegeben, wenn z.B. die weiteren Miterben an der Mitwirkungshandlung verhindert sind oder sich aber weigern. Dann könnte der Schuldner nur noch durch Hinterlegung erfüllen. Wird aber die Leistung zum Erhalt des Nachlasses dringend gebraucht, liegt in der Klage mit der Leistung an sich wiederum eine Notverwaltungsmaßnahme des einzelnen Erben.

 

Rz. 103

Gegenüber dem persönlichen Anspruch eines Miterben ist ferner die Aufrechnung mit einer gegen den ungeteilten Nachlass (§ 2059 Abs. 1 S. 1 BGB) gerichteten Forderung nach § 390 BGB ausgeschlossen.[169]

[161] Vgl. Soergel/Wolf, § 2039 Rn 17; MüKo/Dütz, § 2039 Rn 16; RGRK/Kregel, § 2039 Rn 13 m.w.N.
[162] BGH MDR 1963, 578; Palandt/Weidlich, § 2039 Rn 11; MüKo/Dütz, § 2039 Rn 16.
[163] Soergel/Wolf, § 2039 Rn 17 ohne Rechtsprechungsnachweis.
[164] Staudinger/Werner, § 2038 Rn 27.
[165] BGH v. 8.5.1952 – IV ZR 208/51, BGHZ 6, 76, LS 2 sowie S. 81.
[166] Dazu ausführlich Damrau/Tanck/Rißmann, § 2038 Rn 24 ff.
[167] Damrau/Tanck/Rißmann, § 2038 Rn 24 ff.
[168] Vgl. dazu allgemein: BGH v. 8.5.1952 – IV ZR 208/51, BGHZ 6, 76, 81.

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