Rz. 20

Unter der Überschrift "Probleme mit den Punkten"[33] befasste sich der Deutsche Verkehrsgerichtstag 2009 mit dem Verkehrszentralregister. Man mag sich eine eigene Meinung dazu bilden, ob den Empfehlungen Rechnung getragen worden ist. In den Empfehlungen hieß es damals wörtlich:

Zitat

"Eine Vereinfachung der Vorschriften des bestehenden Punktsystems ist dringend erforderlich. Die Tilgungshemmung und die Überliegefrist sollen entfallen und gleichzeitig die Tilgungsfristen des §29 Abs. 1 StVG und die Punkteschwelle überprüft werden."

 

Rz. 21

Bei der Bewertung des gesamten Vorhabens ist zu kritisieren, dass der ursprüngliche Ansatz und Ausgangspunkt schlicht und ergreifend nicht konsequent umgesetzt wurde. Immer noch kann ein Verkehrssünder theoretisch vielfache Verstöße begehen, ohne dass ihn eine Sanktion ereilt. Gerade das war aber doch der intellektuell-wissenschaftliche Unterbau des Vorhabens: Dass nämlich die Anzahl und nicht die Schwere der Verstöße für die Bemessung des Unfallrisikos maßgeblich sind. Auch die Überführungsvorschriften sind kompliziert und eben nicht transparent, geschweige denn gerecht.

 

Rz. 22

Auch das gesetzgeberische Hin und Her hat nicht dazu beigetragen, dass dem Vorhaben mehr Energie innewohnen könnte. Die Bürgerbeteiligung – groß angelegt und sicherlich kostenintensiv – ist vor dem Hintergrund der jetzigen Regelungen witzlos gewesen: Denn weder ist den konzeptionellen Wünschen noch den Interessen der an der Bürgerbeteiligung befragten Bürgern Rechnung getragen worden, da diese im Wesentlichen einen Punkteabbau in das Vorhaben eingestellt wissen wollten und zudem eine nachvollziehbare Klassifizierung erwarten durften. Beispielhaft sei auf die Fahrlässige Körperverletzung verwiesen.

 

Rz. 23

 

Fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr

Der Bürger wird einer fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr beschuldigt. Nun bestehen folgende Möglichkeiten.

Das Ermittlungsverfahren wird eingestellt:

nach §170 Abs. 2 StPO;
nach §153 StPO;
nach §153a StPO gegen Erbringung einer Auflage;
nach weiteren – anderen Einstellungsvorschriften.
 

Rz. 24

Schon an diesem Beispiel wird sichtbar, dass der beratende Rechtsanwalt über eine prophetische Gabe verfügen muss, will er den Punktestand prognostizieren: Denn es wird landläufig sicherlich nach der Schwere der Verletzungen – die oftmals aber zufällig eintreten können und auch mit der Konstitution des Geschädigten in Verbindung stehen – eine strafgerichtliche Verfolgung einhergehen. Wie unterschiedlich allerdings in der Bundesrepublik Deutschland diese Praxis sein kann, ist ausführlich auf dem 50. Verkehrsgerichtstag 2012 diskutiert worden. Zu berücksichtigen sind insoweit auch die Forderungen des Arbeitskreises V:[34]

Zitat

"(…)"

III. Allerdings empfiehlt der Arbeitskreis dem Gesetzgeber, in den Katalog des §153a StPO ausdrücklich auch die Möglichkeit einer verkehrserzieherischen Maßnahme aufzunehmen.
IV. Im Bereich der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr beobachtet der Arbeitskreis mit Sorge eine unterschiedliche Einstellungspraxis bei den Staatsanwaltschaften. Die Landesjustizverwaltungen und in diesem Rahmen die Generalstaatsanwaltschaften sollten sich dieser Frage annehmen und werden aufgefordert, zur Vereinheitlichung der Praxis in Ergänzung zu Nr. 243 Abs. 3 RiStBV Richtlinien und Verwaltungsanordnungen zu erlassen.“
 

Rz. 25

Wenn diese Klippe nicht genommen wird, steht bereits die nächste Klippe an: nämlich die unterschiedliche Bewertung durch den Einzelrichter. Dass auch hier beträchtliche Unterschiede bestehen, dürfte sich von selbst verstehen. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass diese Bewertungen für den Laien nicht nachvollziehbar und schon gar nicht transparent und gerecht sind. Das Hauptziel der Reform ist damit nicht erreicht.

[33] Empfehlungen vom Verkehrsgerichtstag 2009 in Goslar des AK VII.
[34] Die Empfehlungen sind zu finden unter: http://www.mobilundsicher.de/media/empfehlungen_50_vgt.pdf.

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