Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 92
Den vermeintlich Geschädigten trifft nämlich die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität und des konkreten Schadens, auch wenn dies durch die Bestimmung des § 287 ZPO abgemildert sein kann. Grds. lassen mitwirkende Fehler und Säumnisse insbesondere von Gerichten oder parallel bzw. nachgeschaltet tätigen Anwälten nicht den Kausalzusammenhang entfallen, wenn es sich nicht um schlechterdings unverständliche und unvertretbare Eingriffe in den Geschehensablauf handelt.
Rz. 93
Dabei darf die Schadensermittlung und Feststellung der Höhe eines Schadens und des Kausalzusammenhangs nach § 287 ZPO aber nur dann nach pflichtgemäßen Ermessen durch das Gericht vorgenommen werden, wenn ihm hinreichend tatsächliche Grundlagen für ein Wahrscheinlichkeitsurteil zur Verfügung gestellt worden sind. Dabei erfordert die Vorgehensweise nach § 287 ZPO also zweierlei, nämlich den mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Eintritt eines Schadens und das Beruhen des Wahrscheinlichkeitsurteils auf gesicherten Grundlagen.
Rz. 94
Diese allgemeinen Grundsätze sind im Bereich der Anwaltshaftung insoweit vom BGH präzisiert worden, als die Regressgerichte "die Prüfung, ob die Klage im Vorprozess bei pflichtgemäßem Handeln des Beklagten Erfolg gehabt hätte, selbst vornehmen müssen. Hängt die Haftung des Anwalts vom Ausgang eines Vorprozesses ab, hat das Regressgericht nicht darauf abzustellen, wie jener voraussichtlich geendet hätte, sondern selbst zu entscheiden, welches Urteil richtigerweise hätte ergehen müssen".
Rz. 95
Weil es im Regressprozess im Rahmen der Prüfung, wie die Dinge bei verfahrensmäßig pflichtgemäßem Verhalten verlaufen und die Entscheidung eines Gerichts ausgefallen wären, darauf ankommt, wie die Entscheidung eines Gerichts objektiv richtigerweise aus Sicht des über den Schadensersatzanspruch erkennenden Gerichtes ausgefallen wäre, ist nicht darauf abzustellen, wie das Ausgangsgericht tatsächlich entschieden hätte, und zwar selbst dann, wenn feststeht, welchen Ausgang das frühere Verfahren bei pflichtgemäßem Verhalten des Anwalts genommen hätte.
Rz. 96
Des Weiteren hat der BGH mit seinem Beschl. v. 5.6.2008 eine nicht veröffentlichte Entscheidung des OLG Nürnberg bestätigt, mit der die Regressklage einer Anspruchstellerin wegen Fehlens des nötigen Zurechnungszusammenhangs abgewiesen wurde, die nach einem als fehlerhaft empfundenen Verhalten des dort verklagten Anwalts eine Vielzahl von aussichtslosen Prozessen mit einer Kostenbelastung im sechsstelligen Bereich geführt hatte. Der BGH führte wie folgt aus:
Rz. 97
Zitat
"Es fehlt im Übrigen auch an einem ersatzfähigen Schaden, weil die Klägerin ein ihr nicht zustehendes Recht durchsetzen wollte. Das liegt in ihrem eigenen Risikobereich und wird vom Schutzzweck der Anwaltshaftung nicht umfasst. Dies ergibt sich aus dem hier anwendbaren normativen Schadensbegriff. Die Antragstellerin hat zwar Recht in der Annahme, dass der Antragsgegner von jeglicher Prozessführung hätte abraten müssen […]. Die Antragstellerin steht jedoch auf dem Standpunkt, dass damals “durchaus eine realistische Erfolgsaussicht gegeben‘ war. Sie wollte den Prozess gerade durchführen […]."
Rz. 98
Die erwähnte Rechtsprechung, wonach die Regressgerichte aus ihrer Sicht den Haftungsfall zu entscheiden haben, hat unter anderem zur Folge, dass die im Ausgangsverfahren maßgebliche Darlegungs- und Beweislast auch für den Regressprozess maßgeblich ist und der Anwalt im Regressprozess die Rolle des Gegners des Mandanten übernimmt, wobei vom Anwalt dieser Gegner als Zeuge benannt werden kann, dass die Behauptungen des Mandanten im Ausgangsverfahren nicht der Richtigkeit entsprechen.
Rz. 99
Was diese grds. Darlegungs- und Beweislast angeht, so hat der BGH für das Anwalts- und Steuerberaterhaftungsrecht als weitere Erleichterung die Anwendung sog. Anscheinsbeweise anerkannt, und zwar
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die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens, d.h. dass der Mandant sich bei vertragsgerechtem Handeln des Beauftragten beratungsgemäß verhalten hätte; |
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die Vermutung vollständiger und richtiger Information, d.h. dass der Mandant alle Informationen überlassen hätte, falls man sie bei ihm eingefordert hätte. |
Rz. 100
Kommen mehrere Verhaltensmöglichkeiten in Betracht, ist für die Vermutung beratungsgemäßen Verhaltens kein Raum und vom Mandanten die volle Beweislast zu tragen, weil der Anscheinsbeweis bei der Möglichkeit alternativer Verhaltensweisen nicht durchgreift.