Rz. 76

Am 5.7.2007 hat der Bundestag das reformierte Versicherungsvertragsgesetz (VVG) beschlossen, welches am 21.9.2007 den Bundesrat passiert hat. Das im Wesentlichen aus dem Jahr 1908 stammende VVG wurde in weiten Teilen der gelebten Rechtswirklichkeit nicht mehr gerecht. Es vollzog "sich eine grundlegende Modernisierung der Vertragsbeziehungen zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer."[69] Ziel der Gesetzesnovelle war es, nunmehr Verbraucherschutzinteressen in den Vordergrund zu stellen. "Das reformierte VVG sieht neue Regelungen zur Laufzeit von Verträgen und zu Widerrufs-, Rücktritts- und Kündigungsrechten, zur vorläufigen Deckung und zur Pflichtversicherung vor", so die Beschlussempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung.[70] Kernstück der Reform ist der Wegfall des Alles-oder-nichts-Prinzips, was aufgrund der neuen Rechtslage zu vermehrten Auseinandersetzungen zwischen den Parteien führen dürfte.

[69] GDV Jahrbuch 2008, 13.
[70] BT Drucksache 16/5863 v. 28.6.2007.

I. Inkrafttreten

 

Rz. 77

Das reformierte VVG trat für Neuverträge zum 1.1.2008 in Kraft. Für sogenannte Altverträge, die vor dem 1.1.2008 geschlossen wurden, gilt das bisherige VVG bis zum 31.12.2008 weiter.

 

Rz. 78

Gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVGE kann der Versicherer seine bisherigen Allgemeinen Vertragsbedingungen, soweit diese von den Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes abweichen, bis zum 31.12.2008 einseitig und ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers an das VVG anpassen. Voraussetzung ist, dass er dem Versicherungsnehmer die geänderten Versicherungsbedingungen unter Kenntlichmachung der Unterschiede spätestens einen Monat vor dem 1.1.2009 mitteilt.

II. Auswirkungen der Reform

 

Rz. 79

Das reformierte VVG behandelt die Vorschriften über die Rechtsschutzversicherung in den §§ 125 bis 129 VVG. Insoweit wirken sich die weit reichenden Veränderungen auch auf die Sparte der Rechtsschutzversicherung aus, weil "eines der Herzstücke der geplanten Reform des VVG die Neufassung des Obliegenheitsrechts darstellt".[71]

 

Rz. 80

Erfreulich ist, dass in § 127 VVG weiterhin die freie Anwaltswahl statuiert ist. Hiernach ist der Versicherungsnehmer berechtigt, zu seiner Vertretung den Rechtsanwalt, der seine Interessen wahrnehmen soll, aus dem Kreis der Rechtsanwälte, deren Vergütung der Versicherer nach dem Versicherungsvertrag trägt, frei zu wählen.

 

Rz. 81

In § 128 VVG wird neben dem Stichentscheid auch das Gutachterverfahren beibehalten. Danach hat der Versicherer, soweit er seine Leistungspflicht verneint, weil die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete oder mutwillig sei, im Versicherungsvertrag ein Gutachterverfahren oder ein anderes Verfahren (z.B. Stichentscheidsverfahren) mit vergleichbaren Garantien für die Unparteilichkeit vorzusehen, in dem Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsparteien über die Erfolgsaussichten oder die Mutwilligkeit einer Rechtsverfolgung entschieden werden. Dies ist in den bisherigen Fassungen der ARB regelmäßig ausgestaltet gewesen. Hervorzuheben ist: Der Versicherer ist verpflichtet, den Versicherungsnehmer bei Ablehnung seiner Leistungspflicht hierauf hinzuweisen. Soweit der Versicherungsvertrag kein derartiges Verfahren vorsieht oder der Versicherer den Hinweis unterlässt, gilt das Rechtsschutzbedürfnis des Versicherungsnehmers im Einzelfall als anerkannt. Mithin kann sich der Versicherer für den Fall nicht mehr auf die fehlenden Erfolgsaussichten oder Mutwilligkeit berufen (vgl. § 17 Abs. 1 und 2 ARB 75, § 18 Abs. 1 und 2 ARB 94).

 

Rz. 82

Gemäß § 129 VVG ist es dem Versicherer nicht möglich, von den Vorschriften der §§ 126 bis 128 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers abzuweichen.

 

Rz. 83

Zu betonen ist schließlich, dass die sechsmonatige Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG ersatzlos entfällt, wobei dieser Vorschrift insbesondere in der Rechtsschutzversicherungssparte kaum Bedeutung zukam.

[71] Maier, Die Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen nach dem Regierungsentwurf zur VVG-Reform, r+s 2007, 89.

III. Folgen der versäumten Vertragsumstellung

 

Rz. 84

Wohl die Mehrzahl der Versicherer in den unterschiedlichsten Sparten hat es versäumt, ihre Versicherungsbedingungen mit dem Inkrafttreten des VVG zu aktualisieren und binnen Jahresfrist an das kundenfreundlichere Recht des reformierten VVG anzupassen. Diese Unternehmen laufen nun Gefahr, sich nicht mehr auf Obliegenheitsverletzungen des VN berufen zu können. "Die Sanktionsregelung bei Verletzung vertraglich vereinbarter Obliegenheiten (hier: § 11 Nr. 2 S. 1–3 VGB 88) ist unwirksam, wenn der Versicherer von der Möglichkeit der Vertragsanpassung gem. Art. 1 Abs. 3 EGVVG keinen Gebrauch gemacht hat. Der Versicherer kann deshalb bei grob fahrlässiger Verletzung vertraglicher Obliegenheiten kein Leistungskürzungsrecht gem. § 28 Abs. 2 S. 2 VVG geltend machen.", stellte der BGH[72] fest und stärkt die Rechte der Versicherungskunden. Diese, für den Bereich der Wohngebäudeversicherung, ergangene Entscheidung hat auch Strahlkraft auf die Wirksamkeit der Klauseln...

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