1. Zeitraum vor dem Erstbezug: Die Ein-Personen-Gemeinschaft
Rz. 12
Die Wohnungseigentümergemeinschaft (im Folgenden: "Gemeinschaft" oder "WEG" genannt) entsteht gem. § 9a Abs. 1 Satz 2 WEG mit der Anlegung der Wohnungsgrundbücher. Im Normalfall (Entstehung durch Teilungserklärung) handelt es sich zunächst um eine Ein-Personen-Gemeinschaft mit dem Bauträger als einzigem Mitglied. Mit dieser Regelung vollzog die WEG-Reform 2020 einen fundamentalen Wechsel, denn nach der früheren Rechtslage entstand die (werdende) Wohnungseigentümergemeinschaft erst mit der ersten Übergabe einer Wohnung an einen Erwerber. Die Übergabe der ersten Wohnung ist aber auch jetzt noch von Bedeutung, denn dieser Vorgang beendet das Stadium der Ein-Personen-Gemeinschaft (→ § 1 Rdn 18). Bis zur Übergabe der ersten Wohnung bestimmt nur der Alleineigentümer/Bauträger die Geschicke der Gemeinschaft; er kann als "Alleinherrscher" nach Belieben "schalten und walten". Das hat den Vorteil, dass auf diese Weise die Wohnungseigentumsanlage bei Bezugsfertigkeit mit allen für die Bewirtschaftung erforderlichen Verträgen ausgestattet sein kann; es besteht aber auch eine Missbrauchsgefahr. Die Einzelheiten werden nachfolgend dargestellt.
Rz. 13
Im Stadium der Ein-Personen-Gemeinschaft kann der Bauträger Beschlüsse fassen. Für die Beschlussfassung gelten (nur) theoretisch die "normalen" gesetzlichen Anforderungen der §§ 23 ff. WEG hinsichtlich Einberufung einer Versammlung und Ankündigung der Beschlussgegenstände. Weil die "Ein-Personen-Versammlung" zwangsläufig eine Universalversammlung (Vollversammlung) sämtlicher Wohnungseigentümer darstellt, kann der Bauträger nämlich auf die Einhaltung der Formalien verzichten und praktisch jederzeit und überall Beschlüsse fassen. Die Beschlussfassung setzt – wie auch sonst – keine Grundbucheintragung und auch keinen anderweitigen "Publizitätsakt" voraus. Teilweise wird zwar vertreten, in entsprechender Anwendung des § 23 Abs. 3 S. 1 WEG gelte für die Beschlüsse des Alleineigentümers das Gebot der Textform. Aber abgesehen davon, dass die für eine Analogie erforderlichen Voraussetzungen (planwidrige Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage) nicht vorliegen dürften, würde sich an dem Problem der "Beliebigkeit" der Beschlüsse nichts ändern. Denn weil der Bauträger den Beschluss zu einem beliebigen Zeitpunkt fassen bzw. verschriftlichen kann, kann der vom Postulat der Textform bezweckte Schutz der Gemeinschaft nicht erreicht werden. Bei Bedarf kann der Bauträger jederzeit ein Beschlussprotokoll vorlegen; wann dieses gefertigt und ob und wann ein Beschluss wirklich gefasst wurde, lässt sich nie beweisen. Der Rechtsschutz gegen Beschlüsse des Bauträgers gestaltet sich einerseits schwierig, denn die Möglichkeit zur Erhebung einer Anfechtungsklage wird für die Wohnungseigentümer oft wegen Ablaufs der einmonatigen Anfechtungsfrist (§ 45 S. 1 WEG) nicht bestehen, sofern nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird (§ 45 Satz 2 WEG i.V.m. §§ 233 ff. ZPO). Anderseits kann die Gemeinschaft Beschlüsse des Bauträgers, die ihr nicht passen, einfach aufheben oder ändern. Es gibt für den Bauträger aber sowieso nur wenig Anlässe für eine Beschlussfassung; insbesondere kann er in Vertretung der Gemeinschaft Verträge auch ohne Beschluss abschließen (→ § 1 Rdn 15). Sinnvollerweise fasst der Bauträger vor dem Bezug des Hauses nur die folgenden Beschlüsse: Verwalterbestellung, Wirtschaftsplan und ggf. Hausordnung.
Rz. 14
Muster 1.1: Beschlüsse des Alleineigentümers im WEG-Begründungsstadium
Muster 1.1: Beschlüsse des Alleineigentümers im WEG-Begründungsstadium
Protokoll der Beschlüsse für die Wohnungseigentümergemeinschaft Musterstr. 9a -9c, 71234 Musterstadt
1. Die X-Immobilien GmbH wird vom 1.12.2021 bis 31.7.2024 zum Verwalter bestellt. Die Bestellung erfolgt auf der Grundlage des von der X-Immobilien GmbH angebotenen Verwaltervertrags vom 20.10.2021.
2. Es wird beschlossen, dass ab dem Bezug des Hauses Vorschüsse gemäß den Einzelwirtschaftsplänen für das Jahr 2021 (Druckdatum 22.9.2021) zu bezahlen sind. Die Vorschusspflicht gilt in dieser Höhe so lange, bis erneut über Vorschüsse beschlossen wird. Die Vorschüsse sind bis zum dritten Werktag eines Monats zur Zahlung fällig. Für Ersterwerber gilt folgende Sonderregelung: die Vorschusspflicht beginnt mit dem Tag der Übergabe der Wohnung, aber rückwirkend für den ganzen Monat, in dem die Wohnung übergeben wurde.
3. Es wird die Hausordnung beschlossen, die diesem Protokoll als Anlage beigefügt ist.
Stuttgart, den 20.10.2021
Max Mustermann, Geschäftsführer der X-Treubau GmbH
Anlagen:
▪ |
Verwaltervertrag |
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Wirtschaftsplan 2021 |
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Hausordnung |
Rz. 15
Im Stadium der Ein-Personen-Gemeinschaft kann der Bauträger nicht nur Beschlüsse fassen, sondern auch im Außenverhältnis für die Gemeinschaft Rechtsgeschäfte vornehmen, insbesondere Verträge abschließen. Auf diese Weise können alle für die Bewirtschaftung des Objekts erforderlichen Verträge zum Zeitpunkt des Bezugs bereits in Geltung gesetzt sein, wobei beispielhaft die folgenden aufgeführt se...