Eberhard Rott, Dr. Michael Stephan Kornau
Rz. 4
Die Antwort auf die Frage, warum ein erbrechtliches Gestaltungsmittel, das in Deutschland eine sehr lange Tradition hat und in seinem Ursprung auf den germanischen Rechtskreis zurückgeht, in der (fach-) öffentlichen Wahrnehmung der letzten beiden Jahrzehnte eine so zunehmende Bedeutung erlangt, liegt auf der Hand. Die Testamentsvollstreckung ist als ein besonderes erbrechtliches Institut ganz speziell in der Lage, die zunehmend komplexer werdenden Nachlassstrukturen und Familienverhältnisse abzuwickeln, wie sie sich in der heutigen Lebenswirklichkeit darstellen. Ihre hauptsächlichen Einsatzgebiete erlangt die Testamentsvollstreckung bei der Unternehmensnachfolge, im Estate Planning sowie bei schwierigeren privaten Vermögensverhältnissen.
I. Testamentsvollstreckung und Unternehmensnachfolge
Rz. 5
Es gibt keinen feststehenden Begriff der "Unternehmensnachfolge". Typischerweise versteht man hierunter den Übergang der Unternehmerstellung – insbesondere eines einzelkaufmännischen Unternehmens oder einer Gesellschaftsbeteiligung – an einen Nachfolger. Der Übergang des unternehmerischen Vermögens ist durch lebzeitige Übertragung oder durch Übergang von Todes wegen möglich. Das menschliche Sein bringt es mit sich, dass es häufig nicht in der Macht des Unternehmers liegt, welcher der beiden Wege ihm letztendlich vergönnt ist. Richtigerweise müsste er also auf beide Situationen gleichermaßen vorbereitet sein.
Rz. 6
Als wesentliche Gründe für das Scheitern von Unternehmensnachfolgen lassen sich folgende Ursachen ausmachen:
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Die Nachfolgeplanung genießt nicht den Charakter eines Unternehmensziels, ihr liegt kein Business-Plan zu Grunde. |
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Die Nachfolge wird nicht rechtzeitig angegangen; fünf Jahre sind für eine erfolgversprechende Nachfolge das Minimum. |
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Die Nachfolge wird vom Unternehmer sowohl finanziell als auch von der Beraterwahl her nur halbherzig angegangen. |
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Emotionale Gründe behindern die Beschäftigung mit der eigenen Nachfolge. |
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Unter den Erben und Nachfolgern entsteht Streit, insbesondere mangels klarer und kommunikativ abgestimmter Regelungen. |
Rz. 7
Bei der Unternehmensnachfolge aber nur das Unternehmen zu betrachten, greift viel zu kurz. In persönlicher Hinsicht ist der Unternehmer regelmäßig in ein vorgegebenes familiäres Umfeld eingebunden, das nicht unberücksichtigt bleiben darf. Auch der Übergang der privaten Vermögenswerte des Unternehmers muss mit der gleichen Sorgfalt behandelt werden wie die unternehmerische Nachfolge. Die Testamentsvollstreckung ist daher auch und gerade bei der Unternehmensnachfolgegestaltung ein wichtiges und probates Mittel, um Streit unter den Miterben zu vermeiden und die Nachlassabwicklung reibungslos zu gestalten. Teilweise wird sie gar als unverzichtbar bezeichnet, wenn "Firmen vererbt werden".
II. Testamentsvollstreckung und Estate Planning
Rz. 8
Eine erfolgreiche Testamentsvollstreckung kann nur im ganzheitlichen Zusammenhang der postmortalen Vermögenssorge, dem sog. Estate Planning, gesehen werden. Dieser Begriff stammt aus den USA. Die ganzheitliche Vermögensnachfolgeplanung spielt dort aufgrund der über bereits mehrere Generationen hinweg aufgebauten Vermögenswerte naturgemäß eine größere Rolle als in Europa. Die über 75-jährige Friedensperiode seit Ende des 2. Weltkriegs eröffnet der Methodik des Estate Planning nunmehr aber auch hierzulande ein weites Feld. Dabei gilt es, den in den USA schon lange entwickelten Grundsatz, dass kein Testament ohne professionellen Abwickler bleiben dürfe, mit Hilfe der Testamentsvollstreckung sinnvoll auf die hiesigen Verhältnisse zu übertragen. Denn Deutschland – aber eigentlich ganz Europa – hat sich im Hinblick auf die zur Übertragung anstehenden Vermögen in den letzten Jahrzehnten deutlich in Richtung der US-amerikanischen Verhältnisse entwickelt. Angesichts der Vielfalt der unterschiedlichen rechtlichen Regelungen in Europa erscheint ein präzises Estate Planning als Vorbereitung der Nachlassabwicklung durch den Testamentsvollstrecker in Zukunft wichtiger denn je.
Rz. 9
Wörtlich bedeutet Estate Planning soviel wie Erbschafts- oder Nachlassplanung. Zielführend ist das Verständnis von einer Anwendu...