Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 15
Der seit Jahrzehnten geführte Kampf der Gewerkschaften gegen die "Flucht in die Leiharbeit" hatte sich nach 2011 neue Gegner auserkoren: Nunmehr ging es gegen sämtliche Formen eines pauschal als "missbräuchlich" eingestuften Fremdpersonaleinsatzes, zu denen auch die Einschaltung von Drittpersonal auf der Grundlage von Werk- oder Dienstverträgen gezählt wurde. Neben einzelnen in den Medien propagierten Missbrauchsfällen, insbesondere im Einzelhandel und in der Logistikbranche (siehe bereits unter Rdn 14 ff.) stieß auch die von den Unternehmen zunehmend verfolgte Praxis der vorsorglichen Einholung einer sog. Vorratserlaubnis auf Ablehnung. Mit dieser Vorsorgemaßnahme sollten die Sanktionen der §§ 9, 10 AÜG, insbesondere die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Auftraggeber/Entleiher, verhindert werden. Das bis zum 31.3.2017 geltende Recht sah diese Möglichkeit vor, wie das BAG noch im Juli 2016 bestätigte. Seiner Meinung nach griff bei Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher gem. § 10 AÜG auch dann nicht, wenn der Arbeitnehmer nicht nach dem AÜG überlassen, sondern auf der Grundlage eines Werkvertrages beschäftigt war. Das BAG teilte die Auffassung der 4. Kammer des LAG Baden-Württemberg nicht, welche die Berufung auf das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis in reinen Vorratserlaubnisfällen als ein treuwidriges widersprüchliches Verhalten gewertet hatte.
Den statistischen Daten und rechtstatsächlichen Studien lassen sich allerdings bis heute weder eine "Flucht in die Leiharbeit" noch die häufig beklagte Substitution der Zeitarbeit durch Werkverträge entnehmen (zu den Fakten siehe § 3 Rdn 1 ff.). Gleichwohl nahmen sich die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD des Themas der Eindämmung des Fremdpersonaleinsatzes an, welches in der öffentlichen Diskussion häufig unter dem ungenauen Titel "Missbrauch von Werkverträgen" debattiert wurde. Die Eindämmung dieser "Fehlentwicklung" wurde damit auf die Agenda der 18. Legislaturperiode gesetzt.
Rz. 16
Bereits zum Ende der 17. Legislaturperiode nahm die SPD die Löhne von 3–5,50 EUR/Std, die osteuropäischen Werkarbeitern in deutschen Schlachthöfen gezahlt wurden, zum Anlass die Bundesregierung aufzufordern, die neue Art der Ausbeutung in Form des Lohndumpings durch Werkverträge (und anderen Rechtsformen der freien Mitarbeit) zu stoppen.
Im Koalitionsvertrag vom 17.12.2013 hieß es unter der Schlagzeile:
Zitat
Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen verhindern
Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden. Dafür ist es erforderlich, die Prüftätigkeit der Kontroll- und Prüfinstanzen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu konzentrieren, organisatorisch effektiver zu gestalten, zu erleichtern und im ausreichenden Umfang zu personalisieren, die Informations- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats sicherzustellen, zu konkretisieren und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu sanktionieren. Der vermeintliche Werkunternehmer und sein Auftraggeber dürfen auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht bessergestellt sein, als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betreibt. Der gesetzliche Arbeitsschutz für Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer muss sichergestellt werden.
Zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden werden die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßen und missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt.
Parallel dazu setzte sich die große Koalition das Ziel, die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer zu verbessern. Im genannten Koalitionsvertrag hieß es hierzu:
Zitat
Arbeitnehmerüberlassung weiterentwickeln
Wir präzisieren im AÜG die Maßgabe, dass die Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher vorübergehend erfolgt, indem wir eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festlegen. Durch einen Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften abweichende Lösungen vereinbart werden. Wir entwickeln die statistische Berichterstattung zur Arbeitnehmerüberlassung bedarfsgerecht fort.
Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren. Das AÜG wird daher an die aktuelle Entwicklung angepasst und novelliert:
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Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach 9 Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden. |
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Kein Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher. |
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Zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsräte wird gesetzlich klargestellt, dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, sofern dies der Z... |