1. Allgemeines
Rz. 63
Das Gericht hat in jedem Fall (sowohl bei Amts- als auch bei Antragsverfahren) den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde zu legen, § 26 FamFG. Insoweit unterscheidet sich das nachlassgerichtliche Verfahren wesentlich vom Zivilprozess. Zu beachten ist aber, dass besondere Vorschriften das Amtsermittlungsprinzip einschränken können. So sind z.B. im Erbscheinsverfahren die §§ 352 ff. FamFG der Amtsermittlungspflicht vorgeschaltet, ohne diese zu verdrängen. Kommt ein Beteiligter seinen Pflichten nach § 352 FamFG nicht nach, so beginnt die Amtsermittlungspflicht nicht zu laufen. Macht der Antragsteller die nach § 352 FamFG erforderlichen Angaben und legt er die entsprechenden Urkunden vor, trifft ihn keine darüber hinausgehende Ermittlungspflicht. Er hat aber an den weiteren Ermittlungen des Nachlassgerichts durch vollständige und wahrheitsgemäße Angaben mitzuwirken. Verweigert z.B. der Antragsteller im Erbscheinsverfahren ohne triftigen Grund die Abgabe der nach § 352 Abs. 3 FamFG erforderlichen eidesstattlichen Versicherung, so ist das Nachlassgericht berechtigt, den Erbscheinsantrag ohne weitere Ermittlungen als unzulässig zurückzuweisen.
2. Reichweite der Amtsaufklärungspflicht
Rz. 64
Das Gericht bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen im Rahmen der Tatbestandsmerkmale den Umfang der Ermittlungen. Das Ermessen ist dabei aber nicht schrankenlos. So muss z.B. der Tatrichter Einwendungen gegen ein Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen, die sich auf ein Privatgutachten gründen, nachgehen und zum Anlass nehmen, den Sachverhalt weiter aufzuklären.
3. Beschwerdeverfahren
Rz. 65
Die Amtsermittlungspflicht gilt auch im Beschwerdeverfahren. Neues Vorbringen der Beteiligten kann auch eine neue Ermittlungspflicht des Gerichts auslösen. Dieses Vorbringen kann auch nicht als verspätet zurückgewiesen werden, da die Präklusionsvorschriften der ZPO, wie z.B. § 296 ZPO, vor dem Hintergrund der Amtsermittlungspflicht im FamFG-Verfahren nicht entsprechend anwendbar sind. Zwar soll die Beschwerde begründet werden, § 65 FamFG; ein Verstoß gegen diese Vorschrift macht die Beschwerde gleichwohl nicht unzulässig.
4. Muster: Neues Vorbringen im Beschwerdeverfahren
Rz. 66
Muster 1.15: Neues Vorbringen im Beschwerdeverfahren
Muster 1.15: Neues Vorbringen im Beschwerdeverfahren
An das
Oberlandesgericht
_________________________
Nachlasssache _________________________
Az. _________________________
Erbscheinssache des am _________________________ in _________________________ verstorbenen _________________________
Ergänzend zu dem in der ersten Instanz und in der Beschwerdeschrift vorgetragenem Sachverhalt weise ich noch auf folgende Gesichtspunkte hin:
Der Erblasser war zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht testierfähig. Er war weder örtlich noch zeitlich orientiert und redete nur noch "wirres Zeug".
Beweis: _________________________ als Zeuge
Auch war der Erblasser nicht mehr in der Lage, Geschriebenes zu lesen.
Beweis: _________________________ als Zeuge
Nach alledem war das Testament vom _________________________ wegen fehlender Testierfähigkeit unwirksam. _________________________ ist damit gesetzlicher Erbe geworden.
(Rechtsanwalt)
Rz. 67
Im Verfahren der Rechtsbeschwerde gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, soweit der BGH zur selbstständigen Tatsachenprüfung berechtigt ist. Das Rechtsbeschwerdegericht überprüft – innerhalb der gestellten Anträge – die Beschwerdeentscheidung grundsätzlich von Amts wegen in vollem Umfang auf Rechtsfehler.