Rz. 30
Für den Bereich, der damit noch der Regelung durch das autonome deutsche internationale Gesellschaftsrecht verblieben ist, ist das Gesellschaftsstatut weiterhin nach der Sitztheorie zu bestimmen. Das Personalstatut der Gesellschaften ist also an den tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung anzuknüpfen. Da sich für die Anknüpfung an den Sitz der Gesellschaft zunehmend weit reichende Ausnahmen aufgrund der europäischen Gründungstheorie (siehe Rdn 14 ff.) und vorrangiger Staatsverträge (siehe Rdn 7, 9) ergeben, wird vielfach angenommen, die Fortgeltung der Sitztheorie für Gesellschaften aus sog. Drittstaaten (sog. gespaltenes Kollisionsrecht) bringe eine übermäßige Komplexität mit sich und müsse daher unbedingt vermieden werden. Bis zum Erlass einer entsprechenden gesetzlichen Regelung oder einer eindeutigen Wendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist aber von der grundsätzlichen Fortgeltung der Sitztheorie auszugehen. Darüber hinaus werden die mit der "Spaltung" des Gesellschaftsstatuts verbundenen praktischen Probleme vielfach übertrieben. Sobald feststeht, in welchem Staat die Gesellschaft gegründet worden ist, steht fest, ob diese der Sitzanknüpfung unterliegt oder ob sie sich auf die Gründungstheorie berufen kann.
Rz. 31
Ein Regierungsentwurf des Bundesjustizministeriums für eine gesetzliche Regelung des Kollisionsrechts der Gesellschaften sah vor, in das EGBGB eine Regelung einzufügen. Diese beruht im Wesentlichen auf der Gründungstheorie. Mit einer baldigen Umsetzung ist wegen Widerstandes aus Richtung der Gewerkschaften (Schutz der unternehmerischen Mitbestimmung) aktuell nicht zu rechnen. Der Entwurf zeigt aber, wie ein Übergang zur Gründungstheorie in gesetzgeberischer Form im deutschen Recht aussehen könnte:
Artikel 10 EGBGB [RegE]Gesellschaften, Vereine und juristische Personen
(1) Gesellschaften, Vereine und juristische Personen des Privatrechts unterliegen dem Recht des Staates, in dem sie in ein öffentliches Register eingetragen sind. Sind sie nicht oder noch nicht in ein öffentliches Register eingetragen, unterliegen sie dem Recht des Staates, nach dem sie organisiert sind.
(2) Das nach Absatz 1 anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend für
1. |
die Rechtsnatur und die Rechts- und Handlungsfähigkeit, |
2. |
die Gründung und die Auflösung, |
3. |
den Namen und die Firma, |
4. |
die Organisations- sowie die Finanzverfassung, |
5. |
die Vertretungsmacht der Organe, |
6. |
den Erwerb und den Verlust der Mitgliedschaft und die mit dieser verbundenen Rechte und Pflichten, |
7. |
die Haftung der Gesellschaft, des Vereins oder der juristischen Person sowie die Haftung ihrer Mitglieder und Organmitglieder für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, des Vereins oder der juristischen Person, |
8. |
die Haftung wegen der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten. |
Artikel 10a EGBGB [RegE]Umwandlung
(1) Die Voraussetzungen, das Verfahren und die Wirkungen einer Umwandlung im Wege der Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung oder des Formwechsels unterliegen für jede der beteiligten Gesellschaften, Vereine oder juristischen Personen dem nach Artikel 10 anzuwendenden Recht.
(2) Das nach Absatz 1 anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend für
1. |
die Aufstellung eines Umwandlungsplans einschließlich dessen Form, Mindestinhalt und Offenlegung sowie Prüfungs- und Berichtspflichten, |
2. |
das die Umwandlung betreffende Verfahren der Beschlussfassung, |
3. |
den Schutz der Gläubiger der sich umwandelnden Gesellschaften, Vereine oder juristischen Personen und der Inhaber von Wertpapieren, die Rechte an diesen verbriefen, |
4. |
den Schutz der Mitglieder, welche die Umwandlung abgelehnt haben, |
5. |
die Übertragung von Vermögensgegenständen im Rahmen der Umwandlung. |
(3) Der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Umwandlung bestimmt sich nach dem Recht, dem die aus der Umwandlung hervorgehende Gesellschaft, der Verein oder die juristische Person nach Artikel 10 unterliegt.
Artikel 10b EGBGB [RegE]Wechsel des anwendbaren Rechts
Wird eine Gesellschaft, ein Verein oder eine juristische Person in einem anderen Staat in ein öffentliches Register eingetragen oder wird die Organisation der Gesellschaft, des Vereins oder der juristischen Person nach außen erkennbar dem Recht eines anderen Staates unterstellt, wechselt das nach Artikel 10 anzuwendende Recht, wenn das bisherige und das neue Recht einen Wechsel ohne Auflösung und Neugründung zulassen und die Voraussetzungen beider Rechte hierfür vorliegen.
Rz. 32
Anknüpfungspunkt ist nach Art. 10 Abs. 1 EGBGB-Entwurf das Recht, nach dem die Gesellschaft organisiert worden ist ("Gründungsrecht"). Damit würde das "gespaltene Kollisionsrecht" aufgegeben und die Sitztheorie vollständig aus dem deutschen internationalen Gesellschaftsrecht verbannt. Ob man wirklich so weit gehen sollte, Gesellschaften aus der ganzen Welt selbst dann, wenn es sich faktisch um Inlandsgesellschaften handelt, nach der Gründungstheorie vorbehaltlos anzuerkennen, ist eine politische Frage von gewisser Brisanz. Die sich a...