a) Problemstellung
Rz. 102
Bei der Abtretung von Geschäftsanteilen an einer GmbH sind Formfragen in besonderer Weise von praktischer Relevanz. Bekanntester Fall ist der sog. Beurkundungstourismus in die Schweiz bei höherwertigen Geschäften. Hierbei versuchen die Vertragsparteien durch Beurkundung des Verkaufs- und des Abtretungsvertrages in Basel oder in Zürich, Notargebühren zu sparen.
Rz. 103
Es gibt aber auch "seriöse" Fälle der Auslandsbeurkundung. So kann es im Rahmen eines komplexen Unternehmenskaufs zum Abschluss eines einheitlichen Kaufvertrags kommen, welcher Beteiligungen an Gesellschaften mit Sitz in vielen Staaten betrifft. Dieser kann notwendigerweise nur in einem bestimmten Staat abgeschlossen werden. Es können an einem Geschäft zahlreiche Vertragsbeteiligten involviert sein, die sämtlich in einem bestimmten Staat leben, in dem die betroffene Gesellschaft nicht ihren Sitz hat, und aus praktischen Gründen bzw. epidemiebedingten Reisebeschränkungen nicht den Notar im Sitzstaat der Gesellschaft aufsuchen können. In diesem Fall wird vielfach von den Beteiligten ein closing in einer einzigen Sitzung verlangt, das die Abtretung möglichst sämtlicher betroffener Geschäftsanteile erfassen soll. Auch der Umstand, dass sowohl abtretender Gesellschafter als auch Erwerber ihre Niederlassung im Ausland haben, kann ein "legitimes" Interesse an der Vornahme der Abtretung im Ausland begründen. Bei der Einbringung in eine weitere Gesellschaft stehen sich das Gesellschaftsstatut der Objektgesellschaft und das Gesellschaftsstatut der Gründungsgesellschaft gegenüber.
Rz. 104
Gemäß Art. 11 Abs. 1 Fall 1 EGBGB ist ein Rechtsgeschäft zum einen dann wirksam, wenn es die von dem auf das Rechtsgeschäft anwendbaren Recht verlangte Form einhält (Geschäftsstatut). Die Abtretung von Geschäftsanteilen an einer ausländischen Gesellschaft kann also auch bei Vornahme im Inland nach den vom Gesellschaftsstatut aufgestellten Formerfordernissen vorgenommen werden, wenn die von diesem Recht vorgeschriebenen Handlungen auch im Inland erfüllt werden können (siehe Rdn 105).
Beispiel: Der Anteil an einer französischen s.à.r.l. bzw. an einer Schweizer GmbH kann nach Maßgabe des französischen bzw. Schweizer Rechts unter Einhaltung der einfachen Schriftform abgetreten werden. Die Beteiligung an einer niederländischen B.V. hingegen kann im Inland nach dem niederländischen Geschäftsstatut überhaupt nicht abgetreten werden, da das niederländische Recht die Beurkundung durch einen Notar mit Amtssitz in den Niederlanden verlangt.
b) Einhaltung des Gesellschaftsstatuts (Gleichwertigkeitsfrage)
Rz. 105
Bei der Abtretung der Geschäftsanteile an einer deutschen GmbH stellt sich die Frage, ob die von § 15 Abs. 3 GmbHG verlangte notarielle Beurkundung zur Beachtung der vom Geschäftsstatut verlangten Form überhaupt durch einen ausländischen Notar möglich ist. Nach einer Entscheidung des BGH vom 16.2.1981 kann ein vom deutschen Recht aufgestelltes Beurkundungserfordernis auch durch einen ausländischen Notar erfüllt werden, soweit das Beurkundungsverfahren gleichwertig sei. Solche Gleichwertigkeit sei gegeben,
Zitat
"… wenn die ausländische Urkundsperson nach Vorbildung und Stellung im Rechtsleben eine der Tätigkeiten des deutschen Notars entsprechende Funktion ausübt und für die Errichtung der Urkunde ein Verfahrensrecht zu beachten hat, das den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht."
Rz. 106
Der BGH hat daraufhin die Gleichwertigkeit für die Beurkundung durch Notare in Zürich/Altstadt bejaht. Bei Beurkundung durch einen österreichischen Notar liegt die Gleichwertigkeit besonders nahe, da hier das Beurkundungsverfahren noch strenger ist als in der Schweiz. In der Literatur finden sich vielfach erheblich weiter gehende Vermutungen – teilweise sogar für alle Länder des lateinischen Notariats. Fraglich ist, welche Auswirkungen sich für die Feststellung der Gleichwertigkeit aus dem nach der vorgenannten Entscheidung ergangenen "Supermarkt-Beschluss" ergeben, in dem der BGH die Bedeutung der Beurkundungspflicht insbesondere im Hinblick auf die materielle Richtigkeitsgewähr und Gewährleistung einer Prüfungs- und Belehrungsfunktion betont hat. Vorsichtshalber soll nach einigen Stimmen in der Literatur bei Beurkundungen in der Schweiz darauf geachtet werden, dass die Urkunde auch tatsächlich verlesen wird, der Notar auf seine Belehrungspflicht hingewiesen hat und dies im Beurkundungsvermerk auch ausdrücklich vermerkt wird. Allerdings vermag auch das "freiwillige" Verlesen nicht die Gleichwertigkeit des Beurkundungsverfahrens herzustellen, weil die Gleichwertigkeit sich nicht danach richtet, welches Verfahren im Einzelfall tatsächlich eingehalten worden ist, sondern danach, welches Verfahren das für die Beurkundung geltende Verfahrensrecht – im konkreten Fall also das Beurkundungsrecht des Staates, in dessen Namen die Urkundsperson die Beurkundung vornimmt – verlangt und welche Erfordernisse nach diesem Rech...