Rz. 91
Die Haftung der Gesellschafter und der Geschäftsführer unterliegt grundsätzlich dem Gesellschaftsstatut. Insoweit könnte man das Gleiche auch für die Haftung aus Insolvenzverschleppung denken. Freilich ergibt sich hier ein markanter Differenzierungsgrund: Die Haftung der Gesellschafter und Geschäftsführer wird deswegen dem Gesellschaftsstatut unterstellt, weil auch die gesellschaftsrechtlichen Pflichten dieser Personen sich aus dem Gesellschaftsstatut ergeben. Zum einen ist es konsequent, dem Recht, das die Verpflichtung und den Sorgfaltsmaßstab für diese Personen bestimmt, auch die Sanktion der Verletzung einer dieser Verpflichtungen zu entnehmen. Zum anderen soll sich keine Sanktion ergeben, wo keine entsprechende Verpflichtung verletzt worden ist. Die Verpflichtung zur Stellung des Insolvenzantrags ergibt sich freilich nicht aus dem Gesellschaftsrecht, sondern aus dem Insolvenzrecht. Dieses stellt z.B. den Insolvenzgrund fest, wann der Schuldner den Antrag stellen kann und wann er zur Antragstellung verpflichtet ist. Damit hat auch die Haftung wegen Insolvenzverschleppung ihren Ursprung im Insolvenzrecht. Sie unterliegt daher nach überwiegender Auffassung dem Insolvenzstatut. Der deutsche Gesetzgeber hat dies nunmehr klargestellt, indem er die Haftung für Insolvenzverschleppung nicht mehr im GmbHG geregelt hat, sondern in die InsO überführt hat. Insolvenzstatut ist wiederum gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO die lex fori concursus, also die Rechtsordnung, die für das Gericht gilt, das das Insolvenzverfahren eröffnet hat.
Rz. 92
Die Frage, welches Gesellschaftsorgan für die Einleitung des Insolvenzverfahrens zuständig ist, unterliegt freilich nicht dem Insolvenzstatut, sondern dem für die interne Kompetenzverteilung weiterhin maßgeblichen Gesellschaftsstatut. So sind also bei einer englischen Limited mit Sitz in Deutschland nicht die einzelnen "Geschäftsführer" verpflichtet, sondern es entscheidet nach den einschlägigen Regeln des englischen Companies Act 2006 das board of directors über die Antragstellung.
Rz. 93
Abschließend stellt sich noch die Frage, ob eine insolvenzrechtliche Qualifikation bei einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft die Niederlassungsfreiheit beeinträchtigen könnte. Man könnte vorbringen, das Auseinanderfallen von Gesellschaftsstatut und Insolvenzstatut beeinträchtige die Vorhersehbarkeit der Haftungsregeln bei zugezogenen Gesellschaften und führe damit faktisch zu einer Benachteiligung im inländischen Rechtsverkehr. Hier ist aber darauf hinzuweisen, dass die Zuständigkeit für die Insolvenzgerichte in Europa durch die EuInsVO einheitlich geregelt ist. Zuständig sind gem. Art. 3 EuInsVO die Gerichte ausschließlich des Staates, in dem die Gesellschaft den Mittelpunkt ihres geschäftlichen Lebens hat. Damit ist die Zuständigkeit auf ein einziges Gericht konzentriert. Es ist daher nicht nur zumutbar, sondern auch angemessen, dass die Gesellschaft sich an den dort – nämlich am "Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft" (COMI) geltenden Maßstäben orientiert.