Rz. 53
Da eine deutsche GmbH nur Bestand hat, wenn sie durch Eintragung in ein deutsches Handelsregister gegründet worden ist, die Eintragung in das deutsche Handelsregister allerdings wiederum die Zuständigkeit des deutschen Handelsregisters durch einen Satzungssitz im Inland voraussetzt, ergibt sich – unabhängig von § 4a GmbHG – eine unmittelbare Verkettung von inländischem Satzungssitz und Rechtsfähigkeit nach dem deutschen Recht. Die Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland würde dagegen mit Löschung der Gesellschaft im deutschen Handelsregister zum Verlust der Rechtsfähigkeit der GmbH nach dem deutschen Gründungsstatut führen – sollte diese nicht nach dem Recht des neuen Sitzstaates fortexistieren.
Rz. 54
Dies würde auch bei Anwendung der Gründungstheorie gelten: Bei Anknüpfung an den Satzungssitz würde mit der Verlegung des Satzungssitzes in ein anderes Land wegen des damit einhergehenden Statutenwechsels die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft nach dem bislang geltenden Gesellschaftsstatut erlöschen. Dementsprechend wird z.B. auch im englischen internationalen Gesellschaftsrecht angenommen, dass die Verlegung des statutarischen Sitzes in ein anderes Rechtsgebiet unzulässig sei. Die Verwaltungspraxis des englischen Companies House in Cardiff hing an diesen Regeln sogar ausdrücklich trotz der Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Cartesio und Vale fest und verweigerte auch vor dem Brexit bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen von englischen Limiteds ins Ausland die Mitwirkung. Dieses Mittel schied daher als Prävention gegen die Auflösung deutscher Limiteds im Fall des Brexit faktisch aus.
Rz. 55
Nach einer Literaturauffassung soll die Gesellschaft bei gleichzeitiger Verlegung von Satzungs- und Verwaltungssitz fortbestehen können. Da es mit Verlegung des Verwaltungssitzes in das Ausland zu einem Statutenwechsel komme, sei – mangels Fortgeltung deutschen Gesellschaftsstatuts – kein Satzungssitz in Deutschland mehr erforderlich. Dagegen ist einzuwenden, dass die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes innerhalb der EU sowie in einen Staat, der der Gründungstheorie folgt, noch nicht zu einem Statutenwechsel führt, sondern wegen der Neufassung des § 4a GmbHG durch das MoMiG aufgrund dessen kollisionsrechtlichen Gehalts die Fortgeltung deutschen Gesellschaftsrechts unberührt lässt (siehe Rdn 52). Auch die Verlegung des statutarischen Sitzes der GmbH lässt sich nicht so einfach vollziehen, da diese erst mit Eintragung der Sitzverlegung im Handelsregister wirksam wird. Die deutsche Rechtsprechung hat in früheren Entscheidungen übereinstimmend den Vollzug einer Verlegung des statutarischen Sitzes ins Ausland im Handelsregister abgelehnt.
Rz. 56
Anderes ergibt sich aber aus der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV: Nach oben (siehe Rdn 27) vertretener Auffassung ergibt sich die Möglichkeit zur vollständigen Verlagerung des Geschäftsbetriebs ins Ausland dadurch, dass eine deutsche GmbH im Rahmen der EU unter Beibehaltung der vom deutschen Recht gewährten Rechtsfähigkeit auch den tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung frei verlegen kann. Die Verlegung des Satzungssitzes liefe wegen der damit einhergehenden Löschung im Ursprungsstaat und Eintragung im Zuzugsstaat darauf hinaus, dass die Gesellschaft nicht nur ihre Niederlassung verlegt, sondern auch ihre rechtliche Verfassung ändert. Aus einer deutschen GmbH würde dann bei Verlegung des Satzungssitzes einer deutschen GmbH von Bonn nach Lyon und Registrierung im dortigen Registre de Commerce et des Sociétés z.B. eine s.à.r.l. oder SAS französischen Rechts. Ein derartiger transnationaler Formwechsel wurde ursprünglich von der deutschen Literatur nicht anerkannt. Eine Revision dieser Ansicht war jedoch aufgrund der Argumentation des EuGH in Sachen SEVIC Systems angebracht. Den Durchbruch brachte in dieser Hinsicht die Entscheidung des EuGH in Sachen Cartesio. Diese Entscheidung erzwingt nun die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels in Form seiner grenzüberschreitenden Sitzverlegung, soweit nur der Zuzugsstaat bereit ist, die Gesellschaft aufzunehmen und als Gesellschaft nach seinem Recht anzuerkennen. Aus der Entscheidung des EUGH in der Rechtssache VALE ergibt sich nun, dass der Zuzugsstaat die Umwandlung der zugezogenen Kapitalgesellschaft in eine inländische Rechtsform zulassen muss, wenn er einer inländischen Gesellschaft einen entsprechenden identitätswahrenden Formwechsel gestatten würde. Damit ist letztlich der innergemeinschaftliche Formwechsel im Raum der EU und des EWR weitgehend eröffnet und wird von den deutschen Handelsregistern auch weitgehend akzeptiert.
Rz. 57
Eine innergemeinschaftliche Verlegung des statutarischen Sitzes der Gesellschaft sollte durch die (14.) Sitzverlegungsrichtlinie der Europäischen Kommission ermöglicht werden. Die Kommission hatte zwar die Arbeiten an dieser Richtlinie eingestellt. Durch Entschließung hat das Europäische Parlament schon am 10.3...