Rz. 164
Die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung nach deutschem materiellen Recht ist umstritten. Ein Teil der Lehre geht davon aus, dass sich aus § 1 Abs. 1 UmwG 1994 eine Regelungslücke ergebe, da sich das UmwG auf Verschmelzung unter "Rechtsträgern mit Sitz im Inland" beschränke. Folge sei, dass in Bezug auf Verschmelzungen unter Beteiligung von Rechtsträgern ohne Sitz im Inland ein gesetzlich nicht geregelter Bereich bestehe, so dass man insoweit auch kein Verbot annehmen könne. Die wohl weiterhin noch überwiegende Auffassung in der deutschen Lehre hingegen verweist darauf, dass gem. § 1 Abs. 2 UmwG Umwandlungen der in § 1 Abs. 1 UmwG nicht genannten Typen nur vorbehaltlich einer gesetzlichen Regelung zulässig seien. Damit handele es sich bei den in § 1 Abs. 1 UmwG genannten Verschmelzungen unter Rechtsträgern "mit Sitz im Inland" um einen numerus clausus der Umwandlungsmöglichkeiten. Dabei ist allein umstritten, ob unter "Satzungssitz" i.S.v. § 1 UmwG der statutarische Sitz der umzuwandelnden Gesellschaften zu verstehen sei oder ob dieser Begriff i.S.d. "tatsächlichen Verwaltungssitzes" auszulegen sei, wie er im Rahmen der kollisionsrechtlichen Sitztheorie herausgebildet worden ist. Richtigerweise wird man seit den neueren Änderungen des internationalen Gesellschaftsrechts auf den statutarischen Sitz abstellen müssen, denn das UmwG gilt nur dann für die Verschmelzung, wenn die jeweils betroffene Gesellschaft nach deutschem Recht errichtet und konstituiert worden ist. Eine nach ausländischem Recht errichtete Gesellschaft mit tatsächlichem Hauptverwaltungssitz im Inland wäre damit allenfalls dann verschmelzungsfähig, wenn sie der Sitztheorie unterliegt und danach in eine umwandlungsfähige Gesellschaft deutschen Rechts (OHG) umgedeutet werden kann.
Rz. 165
Die gerichtliche Praxis hat in mehreren Fällen grenzüberschreitende Verschmelzungen vollzogen, wobei es sich aber regelmäßig um "Hereinverschmelzungen", also die Verschmelzung einer ausländischen Tochter auf ihre deutsche Mutter, handelte. Gegen die "Herausverschmelzung", bei der das deutsche Recht die Herrschaft über die Gesellschaft aufgibt, bestehen also noch erhebliche Hemmungen.
Rz. 166
Für die praktisch meisten Fälle hatte sich der Streit zunächst dadurch erledigt, dass der EuGH in der Rechtssache SEVIC Systems AG durch extensive Auslegung des Begriffs der Niederlassungsfreiheit entschieden hat, dass der Ausschluss von Gesellschaften mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat von der Verschmelzung auf eine deutsche Gesellschaft gegen die Niederlassungsfreiheit verstoße. Derartige Verschmelzungen mussten daher von den Registergerichten auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage vollzogen werden. Das Gleiche sollte für Gesellschaften aus einem EWR-Mitgliedstaat gelten (vgl. Rdn 22).
Rz. 167
Im Rahmen der EU ist für die grenzüberschreitende Verschmelzung von GmbHs und anderen Kapitalgesellschaften am 25.11.2005 die EU-Verschmelzungsrichtlinie erlassen worden. Die einschlägigen Regeln zur Umsetzung finden sich in Deutschland in den §§ 122a ff. UmwG. Da diese sich aber auf die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus Mitgliedstaaten der EU oder des EWR beschränken, bleiben grenzüberschreitende Verschmelzungen unter Beteiligung von Personengesellschaften im Geltungsbereich der europäischen Niederlassungsfreiheit zulässig, aber ungeregelt. Die Zulässigkeit und das Verfahren der Verschmelzung mit Gesellschaften aus Drittstaaten bleiben weiterhin zweifelhaft.