Rz. 33
Maßgeblich für die Anknüpfung ist nach der Sitztheorie allein der tatsächliche (effektive) Verwaltungssitz der Gesellschaft. Der statutarische (Satzungs-)Sitz der Gesellschaft ist für die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts bedeutungslos. Nach der vom BGH rezipierten sog. Sandrock’schen Formel befindet sich der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung am "Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also dem Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden". Der Ort der internen Willensbildung, also der Wohnsitz der Gesellschafter, der Ort der Aufsichtsratssitzungen, der Vorstands- und Geschäftsführerversammlungen, ist nebensächlich. Entscheidend ist, wo die Gesellschaft nach außen hin in Erscheinung tritt, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Aufgabe durch einen organschaftlichen Vertreter oder durch einen anderen Angestellten mit faktisch umfassender Vertretungs- und Entscheidungskompetenz wahrgenommen wird. Dem Schutzcharakter der Sitztheorie entspricht es vielmehr, dass es darauf ankommt, wo die Entscheidungen umgesetzt werden und die Gesellschaft nach außen in Erscheinung tritt, also auf den Ort, an dem das Tagesgeschäft der Gesellschaft durchgeführt wird, der Schwerpunkt des gesellschaftlichen Lebens.
Beispiel: Eine in Dublin registrierte limited company irischen Rechts klagte 1998 vor dem LG Potsdam Maklerprovision ein. Die vertretungsberechtigten Organmitglieder des board of directors der limited company lebten und arbeiteten in London und auf den Kanalinseln. Die gewerbliche Tätigkeit der Gesellschaft wurde ausschließlich von einem in Berlin wohnenden "Generalbevollmächtigten" wahrgenommen, der in Deutschland belegene Immobilienobjekte vermittelte. Das LG Potsdam entschied daher, dass die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in Deutschland habe.
Rz. 34
Bei in mehreren Ländern aktiven Gesellschaften ist der Schwerpunkt der Tätigkeit zu ermitteln. Da es hierbei ausschließlich auf die tatsächlichen Umstände ankommt, ist ein Beweis nur unter Darlegung der gesamten geschäftlichen Aktivitäten der Gesellschaft möglich. Nahezu unmöglich erscheint dies, im Grundbuch- oder Handelsregisterverfahren zu leisten, wo der Nachweis in öffentlich beglaubigter Form zu führen ist.
Rz. 35
Nachweisschwierigkeiten begegnet die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte durch einen Anscheinsbeweis dahingehend, dass sich der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung in dem Staat befindet, nach dessen Recht die Gesellschaft erkennbar organisiert ist. Demgegenüber möchte ein Teil der Literatur nach fremdem Recht gegründeten Gesellschaften stets die Pflicht zum Beweis des ausländischen Verwaltungssitzes auferlegen. Bei Gesellschaften aus sog. Oasenstaaten spreche sogar eine allgemeine Vermutung dafür, dass der Sitz sich nicht im Gründungsstaat befinde. Praktische Folge letzterer Auffassung wäre, dass für jede Eintragung im Grundbuch oder Handelsregister von der ausländischen Gesellschaft Dokumentationen über den tatsächlichen Verwaltungssitz in öffentlicher Form vorgelegt werden müssten. Internationale Handelskammern und Wirtschaftsprüfer hätten die Aktivitäten der Gesellschaft im In- und Ausland zu begutachten.
Rz. 36
Ausnahmsweise kann auch auf die Ermittlung eines effektiven Verwaltungssitzes verzichtet werden, wenn ein solcher nicht oder – unter Zugrundelegung aller relevanten Einzelheiten – nur unter großen Schwierigkeiten ausgemacht werden kann.
Beispiel: Eine nach englischem Recht gegründete private limited company agierte als Maklerin von Lufttransportkapazitäten. Die in verschiedenen Staaten wohnenden und hauptberuflich als Flugzeugpiloten tätigen Gesellschafter-Geschäftsführer handelten nicht von einem bestimmten Ort aus, sondern durch die Welt fliegend von ihren jeweiligen Einsatzorten. Es ließ sich nicht einmal eine einheitliche Verwaltung ausmachen, da sie zwar alle im Namen der Gesellschaft, ansonsten aber einzeln und weit gehend eigenständig handelten. Ein "Sitz der Hauptverwaltung" bestand damit nicht. Insbesondere erfolgte keine Tätigkeit vom Gründungsstaat aus – eine Tätigkeit war der Gesellschaft dort sogar gesetzlich untersagt ("Nixtecs").
Bei der Ermittlung eines Verwaltungssitzes wären in Nixtecs aufgrund der geringen Ortsbindung schon minimale Umstände ausschlaggebend gewesen. Nebensächlichkeiten, wie etwa ein mehrmaliges Treffen der Gesellschafter in demselben Flughafenhotel, käme eine entscheidende Bedeutung zu. Das OLG Frankfurt sah daher davon ab, einen Verwaltungssitz zu fixieren, und erklärte, mangels eines Sitzes sei ausnahmsweise der Gründungstheorie zu folgen. Dieser Entscheidung ist im Ergebnis zuzustimmen, denn kein Staat kann geltend machen, sein Rechtsverkehr sei durch die Tätigkeit der Gesellschaft so intensiv berührt, dass sich die Gesellschaft insgesamt seinem Gesellschaftsrecht unterstellen müsse.