Rz. 37
Auf die Verweisung auf das am Verwaltungssitz geltende Recht ist gem. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB auch das dort geltende internationale Privatrecht anzuwenden. Insbesondere ist nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB eine Verweisung durch das am Verwaltungssitz geltende IPR auf das Recht eines dritten Staates (Weiterverweisung) oder auf das deutsche Recht (Rückverweisung) zu beachten. Das kommt insbesondere dann vor, wenn das dortige internationale Gesellschaftsrecht auf der Gründungstheorie beruht und die Gesellschaft dem Recht unterstellt, nach dem sie gegründet worden ist.
Beispiel: Eine nach dem Recht der Bahamas errichtete limited liability company soll ein in München belegenes Grundstück erwerben. Der Vertreter legt zum Nachweis seiner Vertretungsmacht eine Vollmacht vor, die in London ausgestellt und von zwei Wirtschaftsprüfern (WP1 und WP2) unterschrieben worden ist. Die Unterschriften sind durch einen Londoner notary public beglaubigt worden. Dieser bestätigt in einem anschließenden Vermerk darüber hinaus ausführlich, dass er die Unterlagen der limited eingesehen habe, dass er danach festgestellt habe, dass eine XY directors Ltd. mit Sitz in London alleiniger director der limited und eine XY secretaries Ltd. mit Sitz in London secretary der limited sei und dass WP1 befugt sei, die XY directors Ltd. allein zu vertreten, und dass WP2 befugt sei, die XY secretaries Ltd. allein zu vertreten.
Da die limited nach dem Recht der Bahamas errichtet wurde, kann sie sich weder auf die Niederlassungsfreiheit aus dem EG-Vertrag noch aus dem EWR-Vertrag berufen. Auch gibt es im Verhältnis zu den Bahamas keinerlei bilaterales Abkommen, das die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Anerkennung auf den Bahamas errichteter Kapitalgesellschaften begründet. Da im vorliegenden Fall die Verwaltung der Gesellschaft offenbar in London erfolgt – sämtliche Verwaltungsorgane der Gesellschaft haben ihren Sitz in der englischen Metropole –, führt die Anknüpfung an den tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung hier zum englischen Recht. Das internationale Gesellschaftsrecht in England basiert allerdings nicht auf der Sitztheorie, sondern knüpft das Gesellschaftsstatut an das Gründungsrecht an. In England gilt also die sog. Gründungstheorie. Das englische Recht verweist daher auf das Gesellschaftsrecht der Bahamas, da die Gesellschaft dort nach dem bahamaischen Recht errichtet worden ist. Diese Verweisung des englischen Internationalen Privatrechts auf das bahamaische Recht (Weiterverweisung) hat der deutsche Rechtsanwender gem. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB zu befolgen. Dieses "nimmt die Verweisung an", da das internationale Gesellschaftsrecht der Bahamas ebenfalls auf der Gründungstheorie aufbaut. Folglich ist aus deutscher Sicht im Ergebnis das bahamaische Recht Gesellschaftsstatut und die Gesellschaft danach als wirksam errichtet und rechtsfähig anzuerkennen. Über das englische Internationale Gesellschaftsrecht ist so mittelbar die Gesellschaft nach Maßgabe der Gründungstheorie anzuerkennen. Dem Schutzzweck der Sitztheorie widerspricht dies nicht. Weil die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in England hat, wenden wir ja das englische Recht zur Entscheidung der Frage nach der Anerkennung der Gesellschaft an. Verzichtet das englische "Sitzrecht" auf den Schutz der Sitztheorie, indem es selber das Gründungsstatut anwendet, so wäre es seltsam, wenn wir um der Integrität des englischen Gesellschaftsrechts willen an der Anwendung des englischen materiellen Gesellschaftsrechts festhielten.
Rz. 38
Zu einer Rückverweisung auf deutsches Recht konnte es bis zur Änderung von § 4a GmbHG durch das MoMiG (dazu oben Rdn 27) kommen, wenn eine in Deutschland errichtete und im Handelsregister eingetragene Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in einen Staat verlegt hat, der der Gründungstheorie folgt. Das Sitzrecht hat dann auf das deutsche Gründungsrecht verweisen, so dass es zu einer Rückverweisung kam, die zur unmittelbaren Anwendung des deutschen materiellen GmbH-Rechts führte. Vor der Änderung des § 4a GmbHG durch das MoMiG wurde von der wohl überwiegenden Ansicht die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft auf der Ebene des materiellen deutschen Gesellschaftsrechts wegen Auseinanderfallens von tatsächlichem und statutarischem Gesellschaftssitz aber dennoch verneint. Mittlerweile freilich lässt die Sitzverlegung nach der wohl überwiegenden Auffassung die Geltung des deutschen Gesellschaftsstatuts schon aus Perspektive des deutschen IPR unberührt.