Rz. 84
Die Rechtsnatur des Firmenrechts ist umstritten. Vielfach wird in der Literatur die Ansicht vertreten, es handele sich um Ordnungsrecht mit öffentlichem Charakter. Dies führt zu einer territorialistischen Geltung. Maßgeblich wäre das Recht am Ort der Hauptniederlassung der Gesellschaft und ihrer Zweigniederlassung. Danach könnte z.B. von einer in Liechtenstein errichteten Aktiengesellschaft verlangt werden, dass sie bei Errichtung einer Zweigniederlassung in Deutschland nach den Regeln des deutschen Firmenrechts ihre Firma um den Zusatz "AG nach liechtensteinischem Recht" ergänzt.
Rz. 85
Nach der Gegenansicht unterliegt auch die Firma der Gesellschaft dem Gesellschaftsstatut. Das Gesellschaftsstatut gilt dann für die Bildung der Firma einer Gesellschaft und die erforderlichen Rechtsformzusätze. Allerdings will auch diese Ansicht den "Ordnungscharakter" des Firmenrechts in der Weise berücksichtigen, dass wesentliche Beschränkungen bei der Firmenbildung in den §§ 18 und 30 HGB (Irreführungsgefahr; Unterscheidbarkeit) über den ordre public (Art. 6 EGBGB) zu beachten seien. Freilich ist dies in dieser Form übertrieben: Die Firma der ausländischen Gesellschaft an sich kann im Inland noch keine Beeinträchtigungen hervorrufen, die so erheblich sind, dass sie den ordre public auf den Plan rufen. Beeinträchtigungen sind allenfalls dann zu erwarten, wenn die Gesellschaft im Inland eine Zweigniederlassung errichtet oder diese Firma auf andere Weise im Geschäftsverkehr verwendet. Dann aber würde sich daraus bereits eine unzulässige Handlung auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts ergeben. Dieses aber gilt als Verhaltensnorm nicht als Bestandteil des Gesellschaftsstatuts, sondern kommt gem. Art. 6 Rom II-VO stets dann zum Zuge, wenn der deutsche "Markt" berührt ist ("Marktortprinzip"). Damit wird das Entstehen eine Schutzlücke vermieden. Der Rückgriff auf den ordre public dürfte damit weitgehend überflüssig und damit praktisch ausgeschlossen sein.
Rz. 86
Zudem ist daran zu denken, dass die Untersagung des abstrakten Führens einer nach dem Gründungsrecht zulässig angenommenen Firma die ausländische Gesellschaft schon in ihrer Niederlassungsfreiheit behindert, ohne dass notwendigerweise eine hinreichende Rechtfertigung vorliegt. Eine EU-Gesellschaft könnte sich daher gegen eine entsprechende Anordnung wehren – nicht jedoch gegen ein Vorgehen mit wettbewerbsrechtlichen Maßnahmen, soweit hierbei die Grundsätze der Nichtdiskriminierung etc. beachtet werden.
Rz. 87
Daher kann von einer ausländischen Gesellschaft mit einer entgegen den §§ 18, 30 HGB gebildeten Firma auch dann, wenn sie ihren tatsächlichen Sitz im Inland hat, noch nicht verlangt werden, dass sie ihre nach dem Gesellschaftsstatut zulässig gebildete Firma ändert oder um einen Zusatz ergänzt (etwa durch Klarstellung, dass sie nach ausländischem Recht gegründet worden ist), solange die Irreführungsgefahr nur abstrakt besteht. Insbesondere wäre diese Firma dann auch in das deutsche Handelsregister einzutragen. Verwirklicht sich die Irreführung durch Verwendung der Firma im Rechtsverkehr, so sind freilich im Einzelfall wettbewerbsrechtliche Maßnahmen denkbar.