Rz. 25
Die Anerkennung einer nach deutschem Recht in Deutschland gegründeten und im deutschen Handelsregister eingetragenen GmbH war lange ungeklärt. Die wohl überwiegende Ansicht ging davon aus, dass auch bei einer nach deutschem Recht gegründeten GmbH das Gesellschaftsstatut nach dem tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft zu bestimmen sei. Sei dieser im Ausland belegen, könnte sich die Geltung deutschen Gesellschaftsstatuts allenfalls aus einer Rückverweisung ergeben.
Rz. 26
Wenckstern hatte dagegen 1999 in einer ausführlichen Analyse der deutschen Rechtsprechung festgestellt, dass es kein Urteil eines deutschen Gerichts gebe, das einer deutschen Gesellschaft wegen eines Wegzugs aus Deutschland die Rechtsfähigkeit nach deutschem Recht aberkannt habe – obgleich er feststellte, dass es eine Vielzahl solcher Gesellschaften geben müsse. Das RG hatte in seiner Entscheidung vom 10.7.1934 keinerlei Bedenken dagegen, eine nach deutschem Recht gegründete GmbH, obwohl sie vom Alleingesellschafter-Geschäftsführer von Budapest aus geleitet wurde, nach deutschem Gesellschaftsrecht zu behandeln. In der Praxis betrifft diese Konstellation unzählige Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne, die im Inland nur über den berühmten "Briefkasten" verfügen. Wenckstern zog daraus die Konsequenz, dass diese Gesellschaften weiterhin nach dem deutschen Gründungsstatut zu beurteilen seien. Er reduziert damit die Sitztheorie auf ihren eigentlichen Zweck, nämlich die Durchsetzung deutscher Schutzvorschriften auf alle Gesellschaften mit wirtschaftlichem Schwerpunkt im Inland.
Rz. 27
Durch die Neufassung des § 4a GmbHG im Rahmen des MoMiG hat der Gesetzgeber es einer nach deutschem Recht gegründeten GmbH ermöglicht, den Sitz der tatsächlichen Hauptverwaltung ins Ausland zu verlegen, ohne dass dies mit Auswirkungen auf die Rechtspersönlichkeit verbunden sei. Dieses Ziel würde weitgehend verfehlt, wenn man mit der Verlegung des Sitzes ins Ausland auf international-privatrechtlicher Ebene einen Statutenwechsel eintreten lassen würde, der die Gesellschaft von ihrem deutschen Gesellschaftsrecht löst und damit auch die Geltung des § 4a GmbHG beendet, so dass das weitere Schicksal und die Anerkennung der Gesellschaft von der am neuen Sitz geltenden gesetzlichen Regelung abhängig wären. § 4a GmbHG lässt sich daher nur dann seiner gesetzgeberischen Zielsetzung entsprechend anwenden, wenn man ihm zugleich entnimmt, dass eine nach deutschem Recht gegründete GmbH auf kollisionsrechtlicher Ebene nicht schlechter behandelt wird als eine Kapitalgesellschaft aus den USA oder aus einem anderen EU- bzw. EWR-Staat und sich somit auf die Gründungstheorie berufen kann. § 4a GmbHG enthält damit nach zutreffender Ansicht zugleich eine kollisionsrechtliche Regelung dahingehend, dass das Gesellschaftsstatut einer nach deutschem Recht gegründeten und im deutschen Handelsregister eingetragenen GmbH stets auf der Basis der Gründungstheorie zu bestimmen ist. Eine unzulässige Durchbrechung der Sitztheorie kann sich hieraus nicht ergeben. Zum einen war schon nach dem alten Recht fraglich, ob sich die kollisionsrechtliche Sitztheorie überhaupt auf eine im Inland gegründete GmbH erstreckte (siehe Rdn 26). Zum anderen ergibt sich die Sitztheorie aus einer richterlichen Rechtsfortbildung und steht damit unter dem Vorbehalt der Gesetze.