Rz. 144
Die unternehmerische Mitbestimmung ist eine deutsche Spezialität und in den meisten anderen Ländern unbekannt. Die fehlende Mitbestimmung wird daher auch vielfach als besonderer Vorteil der Verwendung einer ausländischen Kapitalgesellschaft – vor dem Brexit vor allem der englischen limited – für Geschäftsaktivitäten im Inland aufgeführt, obgleich in den typischen Einsatzfällen der limited die Voraussetzungen für das Eingreifen der Mitbestimmung nach deutschem Recht kaum jeweils erfüllt sein werden.
Rz. 145
Im Allgemeinen wird daraus, dass die einschlägigen Mitbestimmungsgesetze ausdrücklich auf bestimmte Gesellschaftsformen Bezug nehmen (§ 1 MitbestG 1976, § 1 Montan-MitbestG, § 1 BetrVG 1952), abgeleitet, auf Gesellschaften mit ausländischer Rechtsform seien diese Regeln nicht anwendbar. Selbst wenn man mit einer entsprechenden ausweitenden Auslegung – wozu aufgrund des Enumerationsprinzips ein hoher Begründungsaufwand erforderlich wäre – zu einer entsprechenden Anwendung auf nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaften mit vergleichbarer Struktur gelangen würde (Substitution), wäre die praktische Umsetzung dennoch kaum möglich, da das dualistische System von Vorstand und Aufsichtsrat eine Spezialität der deutschsprachigen Länder Deutschland und Österreich darstellt und in den meisten ausländischen Gesellschaftsrechten entweder völlig unbekannt ist oder dort, wo es vor kurzem eingeführt wurde (Frankreich, Italien), fakultativ gilt und praktisch nur selten eingesetzt wird. Die Mitbestimmung würde also regelmäßig eine Umstrukturierung der ausländischen Gesellschaft erzwingen, die zwingende Vorschriften des Gesellschaftsstatuts über die Struktur der Gesellschaft verletzen würde. Bei EU-Gesellschaften würde sich diese Auslegung zudem mit der Aussage des EuGH in Inspire Art in Widerspruch setzen, wonach der Zuzugsstaat die nach dem Gründungsrecht errichtete Gesellschaft auch in Bezug auf ihre Organisation nach dem Gründungsrecht zu akzeptieren hat.
Rz. 146
Verschiedentlich wurde versucht, die Mitbestimmung für faktische Inlandsgesellschaften über eine Berufung auf den internationalprivatrechtlichen ordre public (Art. 6 EGBGB) zu retten. Dieser Versuch fällt aber bereits durch den Hinweis darauf in sich zusammen, dass durch Ausweichen auf andere Gesellschaftsformen des deutschen Rechts dasselbe Unternehmen mit wirtschaftlich weit gehend gleichen Folgen selbst nach deutschem Recht mitbestimmungsfrei errichtet werden könnte, ohne dass hierzu im Inland nennenswerter Widerspruch sich erhebt. Darüber hinaus ist auch ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit denkbar.
Rz. 147
Die ausschließlich im Inland tätige GmbH mit Satzungssitz im Ausland ist daher im Inland mitbestimmungsfrei (vorausgesetzt freilich der Fall, dass das Gesellschaftsstatut nach der Gründungstheorie zu bestimmen ist). Dies gilt auch in den Fällen, in denen die ausländische Rechtsform ausschließlich dazu eingesetzt wird, die Mitbestimmungsregeln des deutschen Rechts zu umgehen. Eine deutsche GmbH mit Verwaltungssitz im Ausland unterliegt aufgrund der Geltung deutschen Gesellschaftsstatuts hingegen der Mitbestimmung deutschen Rechts. Allerdings soll wegen der territorial begrenzten Geltung der Regeln des deutschen Mitbestimmungsrechts dies nicht für ausländische Zweigniederlassungen gelten.
Rz. 148
Von der unternehmerischen ist die betriebliche Mitbestimmung zu trennen. Auf der Ebene der betrieblichen Mitstimmung ist man von der Rechtsform des Unternehmens und seiner Ausgestaltung unabhängig. Daher ist hierbei ausschließlich darauf abzustellen, in welchem Land der Betrieb eingerichtet ist. In einem inländischen Betrieb muss daher auch dann ein Betriebsrat nach deutschem Recht, insbesondere nach den Vorschriften des BetrVG, eingerichtet werden, wenn eine Kapitalgesellschaft ausländischen Rechts Unternehmensträger ist. Haben mehrere Konzerngesellschaften Betriebe im Inland, so kann sogar bei der Konzernmutter ein Konzernbetriebsrat eingerichtet werden – soweit zumindest auch diese eine Niederlassung im Inland hat. Die ausländische Zweigniederlassung einer deutschen GmbH muss dagegen auch bei Erreichen der entsprechenden Mitarbeiterzahlen allenfalls nach Maßgabe des ausländischen Rechts einen Betriebsrat einrichten.