Rz. 49
Die selbstständige Erbenhaftung aus § 102 SGB XII begründet eine unmittelbare Verpflichtung der Erben des verstorbenen Sozialhilfeempfängers auf Kostenersatz. Sie ist nicht von einem originären Anspruch gegen den Verstorbenen selbst abhängig. In §§ 103, 104 SGB XII finden sich ebenfalls sozialrechtliche Regelungen zur Erbenhaftung, welche allerdings unselbstständigen Charakters sind, da die Ersatzpflicht hier bereits zu Lebzeiten des eigentlichen Kostenschuldners eingetreten ist.
Rz. 50
Die Ersatzpflicht aus § 102 Abs. 1 SGB XII zielt auf Sozialhilfeleistungen, die der Erblasser zu seinen Lebzeiten innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Todestag tatsächlich erhalten – nicht nur bewilligt bekommen – hat. Die Leistungen müssen dem Erblasser überdies – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Rückerstattungspflicht – rechtmäßig gewährt worden sein. Unrechtmäßig gewährte Leistungen hat der Sozialhilfeträger nach Maßgabe der §§ 45 ff. SGB X zurückzufordern. Nicht erforderlich ist, dass Sozialleistungen vollständig oder ununterbrochen in dem Zehnjahreszeitraum an den Erblasser erbracht worden sind (umfassende Refinanzierung der Sozialhilfe). Auch wenn bspw. dem sozialhilfegeförderten Erblasser kurz vor seinem Ableben Vermögen zufiel und daher die Zuwendungen des Sozialhilfeträgers entfielen, besteht die Rückgewährpflicht.
Rz. 51
Verpflichtete Personen sind entweder die Erben der leistungsberechtigten Person, § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGB XII, oder ggf. die Erben ihres Ehegatten oder Lebenspartners – sofern der leistungsberechtigte (spätere) Erblasser den Partner überlebt hat – gem. § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 SGB XII. Letztere Regelung rechtfertigt sich durch die zwischen dem Hilfeempfänger und seinem Partner bestandene Einsatzgemeinschaft, wegen der auch Vermögensgegenstände des Partners als Schonvermögen von der Verwertungspflicht im Rahmen der Einsatzgemeinschaft ausgenommen sein konnten. Diese aufgrund der Zuordnung zum Schonvermögen ausgesetzte Verwertung wird nach dem Tod des Partners – d.h. mit Wegfall der Schonvermögenseigenschaft – durch die Kostenersatzpflicht der Erben des Partners wiederhergestellt. Folgerichtig ordnet § 102 Abs. 1 S. 3 SGB XII an, dass Kosten, die während eines etwaigen Getrenntlebens der Partner entstanden sind – währenddessen unterfiel der Partner nicht der Einsatzgemeinschaft – von der Verwertung ausgeschlossen sind. Auch wenn und soweit im Fall des § 102 Abs. 1 S. 1. Alt. 2 SGB XII der Hilfeempfänger selbst seinen Partner überlebt und beerbt hat, besteht gem. § 102 Abs. 1 S. 4 SGB XII keine Kostenersatzpflicht, da das geerbte Vermögen entweder dem Schonvermögen unterfällt und insoweit nach dem Ableben des Hilfeempfängers von dessen Erben nach § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGB XII zu verwerten ist oder andernfalls für die gewährten Leistungen einzusetzen ist.
Rz. 52
Mehrere Erben haften als Gesamtschuldner, § 2058 BGB. Die Ansprüche aus § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 und Alt. 2 SGB XII können neben- und unabhängig voneinander geltend gemacht werden. Hat der Sozialhilfeträger ein Wahlrecht, an welche Erben er sich wendet, hat er sein Ermessen ausschließlich pflichtgemäß nach Sinn und Zweck der Erbenhaftung und geleitet von dem öffentlichen Interesse an einer möglichst umfassenden und effektiven Realisierung des Kostenersatzes auszuüben.
Rz. 53
Die Ersatzpflicht aus § 102 Abs. 1 SGB XII entsteht allerdings erst, wenn der gewährte Betrag das Dreifache des Grundbetrags des Erben gem. § 85 Abs. 1 SGB XII übersteigt, § 102 Abs. 1 S. 2 SGB XII. Dem Erben kommt damit ein entsprechender Freibetrag zugute. Liegt der Nachlasswert unterhalb dieses Freibetrags, ist der Ersatzanspruch unzulässig, § 103 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII. Ein solchermaßen erhöhter Freibetrag gilt zudem bei häuslicher Pflege des Erben durch den Leistungsberechtigten, § 103 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII. Auch ist die Geltendmachung des Ersatzanspruchs im Einzelfall unzulässig, wenn die Inanspruchnahme des Erben eine besondere Härte bedeuten würde, § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII.