a) Entstehungsgeschichte des WEG
Rz. 91
Der Gesetzgeber des BGB hat das seinerzeit verbreitete Stockwerkseigentum als eine "Regelwidrigkeit, deren Aufnahme in das BGB "nicht räthlich ist", angesehen. Nach § 94 BGB gehört ein Gebäude zu den wesentlichen Bestandteilen des Grundstücks (§ 93 BGB) und kann nicht Gegenstand selbstständiger Rechte sein. Nach dem zweiten Weltkrieg war offenbar, dass zur Wiederbelebung des mehrstöckigen Wohnungsbaus eine Einschränkung dieses aus streng dogmatischer Sicht vernünftigen Grundsatzes des BGB-Gesetzgebers notwendig wurde. Außerdem ist nicht zu bestreiten, dass es zu allen Zeiten und in allen Kulturräumen ähnliche Eigentumsformen gab und gibt."
Rz. 92
Niemals allerdings hat es an Stimmen gefehlt, die das WEG als "verfehlte Konstruktion", als "Missgriff des Gesetzgebers", "dogmatisch wilde Form" oder gar wegen "Gegenstandslosigkeit, Widersprüchlichkeit und Inhaltslosigkeit der grundlegenden Bestimmungen" als "nichtig" bezeichnet haben. Auch heute mangelt es nicht an ähnlich kräftigen Formulierungen. Solche mögen die Stimmung des Praktikers aufhellen; zielführend sind sie in der Beratungspraxis nicht. Bei aller Zurückhaltung ist jedoch festzuhalten: Eine tiefere dogmatische Durchdringung der Grundlagen des Wohnungseigentumsrechts ist durch den historischen Gesetzgeber sicherlich nicht erfolgt. Vieles hat sich erst im Laufe der Zeit ergeben. Ein Wohnungseigentumsrechtler der 50er Jahre hätte Formulierungen wie "aufschiebend bedingtes Sondernutzungsrecht", "Öffnungsklauseln" oder "Beschlusskompetenz" als unverständlich empfunden. In den 1990er Jahren waren Stichworte wie "Zitterbeschlüsse" oder "verdinglichte Ermächtigungen" ein den Kenner ausweisender Hinweis auf überwiegend akzeptierte Gestaltungsvarianten. Aus heutiger Sicht sind schon die Begriffe nur noch von historischer Bedeutung. Wer sie noch immer als Gestaltungsmittel versteht, riskiert den Haftpflichtversicherungsschutz. Es liegt daher von Anbeginn an ein tiefgreifendes regulatorisches Defizit vor. Für das Wohnungseigentumsgesetz gilt grundsätzlich der Befund, dass ein Blick in das Gesetz leider nicht immer die Rechtsfindung erleichtert. Vor neuen, höchstrichterlich nicht abgesicherten Trends, Strömungen und Modeerscheinungen ist zu warnen. Die Rechtsprechung hat mittlerweile zwar viele Gesetzeslücken als Ersatzgesetzgeber geschlossen. Die Entwicklung ist und bleibt aber dynamisch und in vielerlei Hinsicht ergebnisoffen. Die WEG-Reform hat sich nunmehr vieler Probleme angenommen.
b) WEG-Novelle und WEG-Reform
Rz. 93
Auch die Novellierung des Wohnungseigentumsrechts im Jahre 2007 wurde sehr kontrovers beurteilt. Möglicherweise hatte sie mehr Zweifelsfragen hervorgerufen als gelöst. Zumindest in zwei Bereichen hatte die Reform allerdings zu einer deutlichen Problementschärfung für den Rechtsgestalter geführt. Gestritten wird meist über bauliche Veränderungen und Kostenverteilung. Hier hatten die zwingenden §§ 16 Abs. 2 f., 22 Abs. 2 WEG a.F. eine deutliche Entlastung mit sich gebracht. Auch wenn die ursprüngliche Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung insofern schweigt oder sogar unzweckmäßige Regelungen enthält, konnte jetzt mit teils qualifizierten Mehrheiten nötigen Veränderungen Rechnung getragen werden. Der Gesetzgeber konnte sich aber erst im Jahr 2020 zu einer umfassenderen WEG-Reform durchringen. Bei dieser standen u.a. folgende Punkte im Vordergrund (vgl. auch Teil A, Rdn 2):
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Privilegierung baulicher Veränderungen und Elektromobilität; |
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Möglichkeit der Einräumung von Sondereigentum an jeglichen Stellplätzen, auch oberirdischen; |
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Erstreckung von Sondereigentum auf Freiflächen; |
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rechtsfähige Gemeinschaft der Wohnungseigentümer; |
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Möglichkeit (auch) virtueller Eigentumsversammlungen; |
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die Verwaltung der Wohnungseigentümergemeinschaft. |