I. Ausgangslage
Rz. 88
"Missratene" Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen sind leider relativ häufig. Schon bei erster Lektüre einer aus dem Grundbucharchiv besorgten alten Teilungserklärung ergibt sich oft der Schluss: Hier hat jemand nicht aufgepasst. Mal der für der Pläne verantwortliche Architekt, die Baubehörde, der aufteilende Eigentümer, der Notar, das Grundbuchamt, der Verwalter, die finanzierenden Banken oder die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, manchmal gar alle zusammen. Die Flut der alltäglich veröffentlichten insbesondere untergerichtlichen Entscheidungen zeigt bei den zugrundeliegenden Sachverhalten ein ähnliches Bild. Mangelnde Rechtskenntnis der Beteiligten oder schlechte Tatsachenermittlung sind nur zum Teil Ursache dieses Befundes.
Rz. 89
Das bei Wohnungseigentumsanlagen unvermeidliche enge nachbarschaftliche Verhältnis schafft Probleme, "wenn die Menschen nicht in der Lage sind, ihr Gemeinschaftsverhältnis den demokratischen Gepflogenheiten entsprechend auszugestalten bzw. sich nach den demokratischen und menschlichen Spielregeln zu verhalten". Gewisse Verhaltensstörungen der Beteiligten bis hin zu pathologischem Querulantentum sind jedem Wohnungseigentumsrechtler mehr als geläufig. Wie so oft bei erbitterten Interessenkonflikten, werden die Streitigkeiten dann auf Nebenkriegsschauplätzen ausgefochten, für die gerade ältere Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen bestens geeignet sind. Bei neu aufzuteilenden Objekten ist es Aufgabe des Notars, anhand der Pläne und Vorbesprechungen mit dem Bauträger/aufteilenden Eigentümer Interessenkonflikte möglichst zu antizipieren und auf eine sachgerechte Regelung hinzuwirken. Der Notar muss hier ein besonderes Augenmerk auf die Störfallvorsorge legen, da sich Fehler in der Teilungserklärung – aufgrund der typischerweise bestehenden Interessendivergenz unterschiedlicher Miteigentümer – meist kaum noch beheben lassen. Zwar kann auch bei von Anfang an verfehlten oder unbilligen Regelungen (sog. Geburtsfehler) grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Teilungserklärung bestehen, wohl aber nur in krassen Ausnahmefällen. Bauliche Veränderungen, insbesondere im Hinblick auf Lademöglichkeiten für Elektrofahrzeuge, barrierefreie Aus- und Umbauten, Maßnahmen des Einbruchsschutzes und zum Glasfaseranschluss sind durch die WEG-Reform nunmehr privilegiert, und zwar auch ohne entsprechende Regelung in der Gemeinschaftsordnung (§ 20 WEG).
Rz. 90
Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen sind darüber hinaus im Grundsatz für die Ewigkeit zu konzipieren, wobei naturgemäß unsichere zukünftige Entwicklungen und die Sicherung der gegenwärtigen Bestandsinteressen abzuwägen sind. Da man aus Fehlern bekanntlich am besten lernt, im Folgenden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ein Exkurs zu den mutmaßlichen Ursachen "missratener" Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen.
II. Einige Ursachen "missratener Gestaltung"
1. Vom Beruf zur Gesetzgebung
a) Entstehungsgeschichte des WEG
Rz. 91
Der Gesetzgeber des BGB hat das seinerzeit verbreitete Stockwerkseigentum als eine "Regelwidrigkeit, deren Aufnahme in das BGB "nicht räthlich ist", angesehen. Nach § 94 BGB gehört ein Gebäude zu den wesentlichen Bestandteilen des Grundstücks (§ 93 BGB) und kann nicht Gegenstand selbstständiger Rechte sein. Nach dem zweiten Weltkrieg war offenbar, dass zur Wiederbelebung des mehrstöckigen Wohnungsbaus eine Einschränkung dieses aus streng dogmatischer Sicht vernünftigen Grundsatzes des BGB-Gesetzgebers notwendig wurde. Außerdem ist nicht zu bestreiten, dass es zu allen Zeiten und in allen Kulturräumen ähnliche Eigentumsformen gab und gibt."
Rz. 92
Niemals allerdings hat es an Stimmen gefehlt, die das WEG als "verfehlte Konstruktion", als "Missgriff des Gesetzgebers", "dogmatisch wilde Form" oder gar wegen "Gegenstandslosigkeit, Widersprüchlichkeit und Inhaltslosigkeit der grundlegenden Bestimmungen" als "nichtig" bezeichnet haben. Auch heute mangelt es nicht an ähnlich kräftigen Formulierungen. Solche mögen die Stimmung des Praktikers aufhellen; zielführend sind sie in der Beratungspraxis nicht. Bei aller Zurückhaltung ist jedoch festzuhalten: Eine tiefere dogmatische Durchdringung der Grundlagen des Wohnungseigentumsrechts ist durch den historischen Gesetzgeber sicherlich nicht erfolgt. Vieles hat sich erst im Laufe der Zeit ergeben. Ein Wohnungseigentumsrechtler der 50er Jahre hätte Formulierungen wie "aufschiebend bedingtes Sondernutzungsrecht", "Öffnungsklauseln" oder "Beschlusskompetenz" als unverstä...