Rz. 74
Inkassodienstleister sind schon historisch eng mit Fragen der Informationsbeschaffung und der Auskunftei verbunden. Die Frage der Kreditwürdigkeit bei Vertragsabschluss im Wege einer Bonitätsprüfung spielt auch bei der weiteren Forderungseinziehung eine große Rolle. Inkassodienstleister verfügen durch die Nutzung von Mandanteninformationen, öffentlichen Registern, von Auskunfteien und Spezialanbietern für Einzelinformationen (Adressen, Kommunikationsmittel), von Selbstauskünften des Schuldners und von ihm zugestandener Drittauskünfte sowie von öffentlichen Informationen über ein breites Bild der Bonität des Schuldners. Das erlaubt eine sehr viel genauere Ansprache und bildet den Boden für Teil- und Ratenzahlungsvereinbarungen, die der Lebenswirklichkeit des Schuldners entsprechen und zugleich die Interessen des Gläubigers – auch unter Sicherungsgesichtspunkten wegen potentieller Beweisverluste zum Anspruch – berücksichtigen. Dabei verstehen sich Inkassodienstleister weithin als Mittler zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger und werden, insbesondere im gewerblichen Bereich der Gläubiger, auch als solche wahrgenommen. Das Informationssystem erlaubt es, im Sinne des Kosteninteresses des Gläubigers wie des später erstattungspflichtigen Schuldners auch zunächst auf Beitreibungsmaßnahmen zu verzichten, wenn sie aufgrund der Einkommens- und Vermögenssituation des Schuldners keinen Erfolg versprechen. Der Verzicht kann dann so lange andauern, bis die Verjährungsregeln der §§ 195, 197 Abs. 2 BGB eine Sicherung der Forderung verlangen oder eine solche mit dem kooperativen Schuldner nach § 202 Abs. 2 BGB gelingt.
Hinweis
Die Ergebnisse der in 2016 von der Hamburger Unternehmensberatung Bülow & Consorten im Auftrag des BDIU e.V. durchgeführten Branchenstudie machen deutlich, dass aufgrund der speziellen Arbeitsweise von Inkassodienstleistern etwa 87 % aller übergebenen kaufmännischen Mahnverfahren ohne Einschaltung von Rechtsanwälten, Gerichten oder Vollstreckungsorganen abgeschlossen werden können. Die Branchenstudie zeigt darüber hinaus auf, dass in 2016 von 22,3 Mio. außergerichtlichen Mahnverfahren nur 3 Mio. in das gerichtliche Mahnverfahren nach §§ 688 ff. ZPO überführt werden mussten. Demgegenüber konnten 19,3 Mio. Forderungsvorgänge abschließend außergerichtlich bearbeitet werden, wodurch die Justiz in einem ganz erheblichen Ausmaß entlastet wird. Auch der BGH ging in einem Fall von einer vorgerichtlichen Erfolgsquote von 90 % aus. Es wird allerdings abzuwarten bleiben, ob diese vorgerichtliche Erfolgsquote Bestand hat, nachdem die Einigungsgebühr von 1,5 auf 0,7 abgesenkt wurde. Der mit einer Einigung verbundene Aufwand wird damit nicht hinreichend abgegolten wird, so dass es naheliegt, dass vermehrt und schneller ins gerichtliche Mahnverfahren übergegangen wird.
Rz. 75
Die Einschaltung eines Inkassodienstleisters ermöglicht die Aufrechterhaltung der Kundenbeziehung, soweit der Schuldner kooperativ angesprochen wird. Dies ist gerade für den Gläubiger im eher unpersönlichen Massengeschäft ein nicht unwichtiger Aspekt. Der Schuldner profitiert, weil dies zur Folge hat, dass hinsichtlich der Inkassokosten meist mit einem Sozialtarif begonnen wird, d.h. keine 1,3-Geschäftsgebühr als Regelgebühr schon im ersten Anschreiben verlangt wurde, sondern nur eine 0,5–1,0-Geschäftsgebühr. Nachdem Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG die Regelgebühr nunmehr auf eine 0,9-Geschäftsgebühr bei Inkassodienstleistungen reduziert, ist davon auszugehen, dass Sozialtarife verschwinden werden. Zu erwarten ist, dass Inkassodienstleister mit einer 0,9-Geschäftsgebühr als regelgebühr oder mit einer 0,5-Geschäftsgebühr in der Erwartung des unmittelbaren Zahlungsausgleiches, die dann in einer Zweitmahnung auf eine 0,9-Geschäftsgebühr angehoben wird, starten. Die Pflege der Kundenbeziehung wird im ersten Fall (Start 0,9-Geschäftsgebühr) mit dem Hinweis auf die Absenkung der gebühr bei unmittelbarer Zahlung, im zweiten Fall (Start mit einer 0,5-Geschäftsgebühr) mit dem Hinweis auf die sonst steigenden Gebühren im Sinne einer – weiteren, aber letzten Chance – erfolgen.
Auch vermeidet die längere außergerichtliche Bearbeitung höhere Kosten und vor allem Auslagen in Form von Gerichts- und Vollstreckungskosten und die damit einhergehenden weiteren Beeinträchtigungen.
Inkassodienstleister "bilanzieren" ihre Bemühungen auch stärker als Rechtsanwälte, so dass im Sinne eines Reportings zukünftige Forderungsausfälle vermieden werden können, d.h. die Erkenntnisse aus Inkassoprozessen zugleich auch in künftige Bonitätsprüfungen einfließen. Dem Gläubiger stehen insoweit bessere Daten für seine Preisgestaltung und Liquiditätsplanung zur Verfügung, der Schuldner profitiert, soweit bei künftigen Verpflichtungen auf seine prekäre Situation hingewiesen und er zur Absicherung aufgefordert wird. Das wirkt einer immer stärkeren Verschuldung entgegen. Kein Gläubiger hat Interesse an einem später säumigen Schuldner.