Rz. 76
Eine weitere Kompetenz von Inkassodienstleistern liegt in der Bearbeitung einer Vielzahl von gleichartigen Einzelforderungen. Dafür hat sich innerhalb und außerhalb der Inkassobranche der Begriff Masseninkasso herausgebildet. Der Begriff ist nicht nur juristisch unpräzise, sondern auch irreführend. Es bestehen Zweifel, ob an einen solchen Begriff gesonderte Rechtsfolgen gebunden werden können. Versuche, den Begriff – auch in kleinen Diskussionsrunden mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages – zu definieren, sind bisher gescheitert.
Entgegen manchem (Vor-)Urteil bedeutet die beschriebene Forderungsübernahme kein Weniger an Rechtsdienstleistung, sondern nur eine andere Form der Bearbeitung. Es ist bedauerlich, dass es bisher im politischen Raum nicht gelungen ist, dies rechtstatsächlich aufzuarbeiten. Die Einziehung einer Vielzahl gleichartiger, bezogen auf den Schuldner und aber zu differenzierenden Forderungen – gleich ob durch Inkassodienstleister oder Rechtsanwälte – bedeutet nicht weniger Aufwand, sondern sie begründet nur einen anderen Aufwand. Im Einzelfall geht damit sogar ein Mehraufwand einher, wenn etwa an die Aktenzusammenführung bei mehreren Forderungen des gleichen Gläubigers gegen den gleichen Schuldner oder an Namensgleichheiten gedacht wird. Masseninkasso wird auch gleichermaßen von spezialisierten Rechtsanwälten wie Inkassodienstleistern betrieben. Das hat schon der BGH anerkannt.
Gerade bei kleinen, aber immer wiederkehrenden Forderungen etwa in der Telekommunikationsbranche, dem öffentlichen Personennahverkehr, der Versicherungsbranche, dem Einzelhandel mit einem besonderen Schwerpunkt beim e-commerce oder der Energieversorgungsbranche ist der Gläubiger auf die Möglichkeit einer im ersten Schritt standardisierten und automatisierten Massenverarbeitung angewiesen, um die Forderungseinziehung beherrschbar steuern zu können. Schon das Grundgeschäft zur Begründung der Hauptforderung wird hier weitgehend IT-dominiert gesteuert, d.h. der Vertragsabschluss wie die Vertragsverwaltung, so dass es eine konsequente Fortsetzung dieser Gläubigerbearbeitung ist, auch in der Forderungsbegründung durch die Rechnungsstellung, der Forderungsverwaltung und der Forderungseinziehung auf diese Aspekte zu setzen. Es müssen also auch Schnittstellen und kompatible Systeme entwickelt, unterhalten und fortlaufend getestet werden. Jeder der einmal mit EDV beschäftigt war, weiß, dass die Kosten der Anschaffung, für Lizenzen sowie die Unterhaltung und Weiterentwicklung immens sind.
Zu Recht werden hier aber unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten keine Defizite geduldet. Der Umgang mit all diesen Daten ist sensibel und der Schuldner hat nach Art. 15 DSGVO i.V.m § 34 BDSG ein hierauf bezogenes Auskunftsrecht sowie weitere Rechte gegenüber dem für die Datenverarbeitung Verantwortlichen. Die Aufgabe liegt hier in rechtlicher Hinsicht darin zunächst allen Belangen des Datenschutzes Rechnung zu tragen. Sodann muss auch in diesen Prozessen eine eindeutige Zuordnung eines Vertrages zu dem jeweiligen Schuldner mit allen Angaben des Einzelfalles erfolgen. Das manifestiert sich auch in der Erfüllung der Informationspflichten nach § 13a RDG und § 43d BRAO. Damit einher geht die Feststellung von möglichen Teilleistungen des tatsächlichen Forderungsbestandes und der Prüfung bereits erhobener Einwendungen. Schon die Zuordnung all dieser rechtlichen und tatsächlichen Aspekte zum Einzelvorgang stellt sich angesichts der Masse als Herausforderung dar.
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Der Aufwand bei Massenforderung liegt nach der Übernahme der Forderung weniger in der rechtlichen Einzelfallprüfung, die ersetzt wird durch eine rechtliche Prüfung eines Massenportfolios im Sinne einer übergreifenden Schlüssigkeitsprüfung. Alle Ansprüche eines Portfolios unterliegen einem bestimmten Vertragsmodell, sind also Forderungen bezogen auf ein Produkt des Gläubigers. Hat der Schuldner sich auf die Gläubigermahnungen nicht gemeldet, gibt es keinen Anlass für eine über die Schlüssigkeitsprüfung hinausgehende Rechtsprüfung. Der Schwerpunkt liegt demgegenüber in der massenhaften Erfassung der Fälle mit der Anschaffung, Pflege und Weiterentwicklung einer leistungsfähigen Software, der Beschäftigung und Aus- und Fortbildung der diese steuernden Mitarbeiter, in der Zuordnung der Forderung zu dem konkreten Schuldner, in der Erfassung aller rechtlich zulässigen Informationen zum Aufenthalt, zum Einkommen und zum Vermögen des Schuldners sowie seiner zu verrechnenden Teilleistungen und zu berücksichtigenden Einwendungen einschließlich der Überwachung von Informationen, die die rechtliche Durchsetzbarkeit der Forderung hindern wie die Verjährung oder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Wer sich vertiefend mit diesen Fragen beschäftigt, wird überrascht sein, welche Probleme sich schon bei der Adressnormierung oder der Identitätsfeststellung zeigen.
Dabei dürfen nicht nur die "massenhaft" versendeten Mahnungen gesehen werden, die am Ende einen individuel...