Rz. 106
Mit dem Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken wurden von dem Gesetzgeber der Nutzwert von Inkassodienstleistungen und die Entlastungseffekte für die Justiz nur unzureichend berücksichtigt. Eine hinreichende Diskussion dieser Gesichtspunkte ist bis heute zu vermissen.
Die Bedeutung der registrierten IKU für die Liquidität der deutschen Wirtschaft und die Sicherung der in Deutschland noch immer hohen Zahlungsmoral stand und steht allerdings außer Frage. Auch gab es nach den damaligen Erkenntnissen der Aufsichtsbehörden keine Hinweise auf eine zunehmend unseriöse Inkassotätigkeit. Das stellte die Existenz unseriöser Geschäftspraktiken einzelner unseriöser Rechtsanwälte und Inkassodienstleister als solches natürlich nicht in Frage. Selbst die öffentliche Hand vertraut die Forderungseinziehung zunehmend registrierten Inkassodienstleister an.
Seriöse Inkassodienstleister bemühen sich umfassend und im Sinne der Kundenbindung für Ihre Auftraggeber sehr zeitintensiv um eine außergerichtliche Regulierung der Forderung. Ihre Grundstrategie ist auf konsensuale Streitbeilegung ausgerichtet. Dabei dürfen nicht nur vermeintlich gleichlautende Massenschreiben gesehen werden, die weitgehend einer ersten Legitimation und der Erfüllung gesetzlicher Informationspflichten dienen. Vielmehr ist deren Funktion in den Fokus zu nehmen. Sie sollen den Schuldner bewegen, überhaupt in Kontakt mit dem Gläubiger bzw. dem beauftragten Rechtsdienstleister zu treten, um eine gütliche Erledigung zu suchen. Eine Vielzahl dieser Mahnschreiben führt aufgrund von Postrückläufern zur Notwendigkeit von Ermittlungsmaßnahmen, weil der Schuldner seinen Meldepflichten nicht nachgekommen ist und die Meldebehörden sich nicht in der Lage sehen, tatsächliche Ermittlungen vor Ort durchzuführen. Auch sind Einwendungen des Schuldners zu prüfen, der tatsächlich nicht immer über seine finanziellen Verhältnisse voll orientiert ist. In großer Zahl ist es erforderlich, sich mit einer unzureichenden Vermögenssituation des Schuldners auseinanderzusetzen und eine Lösung zu suchen, die seiner Leistungsfähigkeit entspricht. Dass der Tätigkeit der registrierten Inkassodienstleister ebenso wie der Konzeption des RVG eine Mischkalkulation zugrunde liegt, wird kaum in Abrede zu stellen sein. In allen Gesetzgebungsvorhaben seit der ZPO-Reform 2002 wird zur Entlastung der Justiz die gütliche Einigung in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt. Ein anderes Regelungskonzept widerspricht dem, weil es einen schnelleren Zugang zu den Gerichten nahelegt und fördert.
Rz. 107
Zur Entlastung der Justiz und durchaus im Sinne des Schuldners sind die umfassenden und dauerhaften vorgerichtlichen Bemühungen der Rechtsdienstleister um den Forderungsausgleich wünschenswert. Wird die Erstattungsfähigkeit der vorgerichtlichen Kosten auf ein Maß beschränkt, dass den Dienstleistern nicht mehr auskömmlich erscheint, gibt es grundsätzlich mehrere Möglichkeiten der Marktreaktion. Zum einen könnten die Gläubiger die Mehrkosten, d.h. eine höhere Vergütung bei verminderter Erstattungsfähigkeit, ausgleichen und sie auf die Preise umlegen oder zum anderen dem Wettbewerbsdruck entsprechend handeln, so dass im ersten Fall alle Verbraucher oder im zweiten Fall die Arbeitnehmer die Kosten tragen. Alternativ können sie früher in das gerichtliche Mahnverfahren übergehen. Dabei muss gesehen werden, dass zurzeit nach Branchenangaben ca. 22,3 Mio. Mahnungen pro Jahr versandt werden, von denen nur etwa 3 Mio. zu einem gerichtlichen Mahnverfahren führen. Damit droht der Justiz bei einem anderen Regelungskonzept eine ganz erhebliche Mehrbelastung, weil nicht nur die Zahl der Mahnverfahren, sondern in der weiteren Folge auch die Zahl der streitigen Verfahren steigen würde, ohne dass ein Mehrwert für Schuldner erreicht wird. Im Gegenteil: Die Kosten werden noch höher und der Ausgleich der Forderung rückt in noch weitere Ferne. Dem Gesetzgeber muss bei vorübergehend mangelnder Leistungsfähigkeit daran gelegen sein, die außergerichtliche Einigung zu fördern. Er Blick auf die Kosten ist eindimensional und wird der Komplexität und den Zielkonflikten nicht gerecht.
Rz. 108
Eine solche Entwicklung würde die Landeshaushalte mit ihren ohnehin schon knappen Ressourcen für die Justiz und vor dem Hintergrund der Schuldenbremse und ungeachtet weiterer gesellschaftlicher Herausforderungen weiter belasten. Werden diese Mehraufwendungen nicht durch zusätzliche Haushaltsmittel, sondern durch eine längere Verfahrensdauer kompensiert, schwächt dies einen maßgeblichen Wirtschaftsfaktor und Wettbewerbsvorteil in Deutschland. Am Ende trägt wieder jeder Steuerzahler diesen Aufwand, ohne dass das Verursacherprinzip hinreichend zum Tragen kommt.
Ein solches – naheliegendes – Alternativverhalten stellt sich aber auch nicht als Maßnahme des Schuldnerschutzes dar. Der Schuldner hat selbst beim niedrigsten Streitwert als Gerichtsgebühr die Mindestgebühr im Mahnverfahren nach Nr. 1100 KV GKG in der zuletzt angehoben...