Rz. 26
Das BGB kennt nur bruchstückhafte Regeln über die Rechtssubjekte. Wesentliches Merkmal eines Rechtssubjekts ist, dass es Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Diese Fähigkeit beginnt nach § 1 BGB, dort als Rechtsfähigkeit bezeichnet, mit der Vollendung der Geburt.
I. Ungeborene als Rechtssubjekte des Erbrechts
1. Erzeugte, aber noch nicht Geborene
Rz. 27
Ausnahmsweise können, und zwar gerade im Erbrecht, auch schon vor der Geburt Rechte erworben werden:
Der im Zeitpunkt des Erbfalls bereits gezeugte, aber noch nicht geborene Mensch (Leibesfrucht, nasciturus) kann Erbe sein, wenn er später lebend geboren wird, § 1923 Abs. 2 BGB. Der nasciturus ist bereits erbfähig, obwohl er noch gar nicht existiert und damit noch nicht rechtsfähig ist i.S.v. § 1 BGB; diese Fähigkeit ist jedoch dadurch aufschiebend bedingt, dass er später auch als lebender Mensch geboren wird. Auf diese Weise kann ein Kind seinen Vater auch dann beerben, wenn dieser noch vor seiner Geburt stirbt.
Rz. 28
§ 1923 Abs. 2 BGB stellt eine Fiktion dar; es wird eine Geburt vor dem Erbfall fingiert. Die Rückwirkung hat zur Folge, dass dem später geborenen Kind die Rechtsfähigkeit beschränkt auf die Erbfähigkeit ab dem Erbfall zugebilligt wird. Allerdings nimmt das Gesetz schon während des Schwebezustandes eine rechtliche Fürsorge für den nasciturus durch Eltern oder Pfleger an. Bereits in dieser Phase anerkennt das Gesetz schutzfähige und schutzbedürftige rechtliche Beziehungen des nasciturus an. Auf diese Weise wird der nasciturus als beschränkt rechtsfähig behandelt.
So kann der Antrag auf Feststellung der Vaterschaft des nichtehelichen Kindes bereits vor der Geburt gestellt werden. Auch eine Vaterschaftsfeststellungsklage samt Klage auf Zahlung des Regelbetrags kann bereits vor der Geburt des Kindes erhoben werden. Nach § 1712 BGB kann dem nicht geborenen Kind das Jugendamt als Beistand bestellt werden.
Aus all dem folgt eine beschränkte Parteifähigkeit bzw. Beteiligtenfähigkeit des noch nicht geborenen und damit im Übrigen noch nicht rechtsfähigen Kindes.
Rz. 29
Der Hintergrund ist die gleichmäßige Teilhabe eines Kindes am Nachlass des Vaters im Sinne von § 1924 Abs. 4 BGB, wonach Kinder zu gleichen Teilen erben. Ohne § 1923 Abs. 2 BGB würde das im Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht geborene aber schon gezeugte Kind erbrechtlich leer ausgehen.
Sogar eine Geburt und somit auch ein Erb- und Pflichtteilsrecht nach dem Tod der Mutter ist möglich, bspw. bei künstlicher Aufrechterhaltung des Kreislaufs der Schwangeren über den Tod im Rechtssinne hinaus und späterer Entbindung.
Auch bei der Beerbung anderer Personen als dem Vater (bzw. der Mutter) ist § 1923 Abs. 2 BGB anzuwenden. Wenn Großeltern ihre Enkel einsetzen, so ist auch ein beim Tod eines Großelternteils bereits gezeugter aber noch nicht geborener Enkel erbfähig.
Erstreckung der Ergänzungsregel des § 2069 BGB: Soweit nach der Ergänzungsregel des § 2069 BGB einem Abkömmling eine Zuwendung gemacht ist, der mit Wirkung auf den Erbfall wegfällt, ist der nasciturus als Ersatzerbe erbberechtigt, wenn er zum Kreis der gesetzlichen Erben gehört. Das gleiche gilt auch für die Auslegungsregeln der §§ 2066 ff. BGB.
Rz. 30
Vor dem gleichen Hintergrund ist § 844 Abs. 2 S. 2 BGB zu sehen, wonach auch der nasciturus einen Unterhaltsanspruch gegen den Schädiger erlangt, wenn der verletzte Unterhaltsverpflichtete vor dessen Geburt stirbt.
2. Noch nicht Gezeugte
Rz. 31
Aber selbst eine noch nicht gezeugte Person kann im Recht der Nacherbschaft begünstigt sein, wenn sie später lebend geboren wird. Nach § 2101 BGB kann auch eine noch nicht gezeugte Person zum Nacherben eingesetzt werden.
Ein Vertrag zugunsten Dritter kann nach § 331 Abs. 2 BGB auch die Begünstigung einer noch nicht gezeugten Person vorsehen.
II. Erbrechtliche Rechtspositionen nicht Geborener
1. Erbenberufung
a) Rückwirkende Erbenberufung
Rz. 32
In Bezug auf den nasciturus gelten die Anforderungen des § 1923 BGB für alle Erbenberufungen, also auf Gesetz, Testament, gemeinschaftlichem Testament oder Erbvertrag. Demnach wird auch die Einsetzung eines Erben durch Erbvertrag unwirksam, wenn der Bedachte vor dem Erbfall verstirbt. Beim Erbvertrag kann der noch nicht Geborene nur als Dritter i.S.v. § 1941 Abs. 2 BGB in Betracht kommen.
Wird der gezeugte Mensch lebend geboren, so treten die Rechtswirkungen rückwirkend ein; denn der gezeugte Mensch gilt nach § 1923 Abs. 2 BGB als vor dem Erbfall geboren. Ist der beim Erbfall bereits Gezeugte zum Erben berufen, so ist er mit der Geburt vom Erbfall an als Träger der Nachlassrechte und -verbindlichkeiten zu betrachten. Auf diese Weise wird vermieden, den Nachlass für eine Zeitspanne als subjektloses Vermögen zu behandeln, wie dies in manchen Rechtsordnungen, die den Antrittserwerb kennen, der Fall ist. Die Rückwirkung des Nachlasserwerbs führt dazu, dass der Vonselbsterwerb des § 1922 BGB auch für den nasciturus eintritt.
b) Ausschlagung und Annahme der Erbschaft
Rz. 33
Die Rückwir...