1. Erbenberufung
a) Rückwirkende Erbenberufung
Rz. 32
In Bezug auf den nasciturus gelten die Anforderungen des § 1923 BGB für alle Erbenberufungen, also auf Gesetz, Testament, gemeinschaftlichem Testament oder Erbvertrag. Demnach wird auch die Einsetzung eines Erben durch Erbvertrag unwirksam, wenn der Bedachte vor dem Erbfall verstirbt. Beim Erbvertrag kann der noch nicht Geborene nur als Dritter i.S.v. § 1941 Abs. 2 BGB in Betracht kommen.
Wird der gezeugte Mensch lebend geboren, so treten die Rechtswirkungen rückwirkend ein; denn der gezeugte Mensch gilt nach § 1923 Abs. 2 BGB als vor dem Erbfall geboren. Ist der beim Erbfall bereits Gezeugte zum Erben berufen, so ist er mit der Geburt vom Erbfall an als Träger der Nachlassrechte und -verbindlichkeiten zu betrachten. Auf diese Weise wird vermieden, den Nachlass für eine Zeitspanne als subjektloses Vermögen zu behandeln, wie dies in manchen Rechtsordnungen, die den Antrittserwerb kennen, der Fall ist. Die Rückwirkung des Nachlasserwerbs führt dazu, dass der Vonselbsterwerb des § 1922 BGB auch für den nasciturus eintritt.
b) Ausschlagung und Annahme der Erbschaft
Rz. 33
Die Rückwirkung des erbschaftlichen Rechtserwerbs ändert nichts daran, dass tatsächlich das Erbrecht erst mit der Geburt erlangt wurde. Für die Ausschlagungsfrist ist die tatsächliche Situation maßgebend, d.h. der Anfall der Erbschaft ist in dieser Hinsicht erst mit der Vollendung der Geburt des Erben eingetreten. Aber für das erzeugte, aber noch nicht geborene Kind kann vor der Geburt die Ausschlagung der Erbschaft erklärt werden – von den vertretungsberechtigten Eltern oder einem Pfleger, aber auch hier erst nach Eintritt des Erbfalls. Dasselbe muss auch für die Annahme gelten.
c) Nasciturus und Erbschein
Rz. 34
Dem oder den bereits lebenden Erben kann über ihr Erbrecht ein Teilerbschein erteilt werden, der sog. Nasciturus-Erbschein. Hat ein Erbe zunächst einen Teilerbschein erwirkt und stellt sich später heraus, dass er Alleinerbe ist, so kann er entweder einen weiteren Teilerbschein über den restlichen Erbanteil oder einen Vollerbschein über sein Alleinerbrecht beantragen; auch im zweiten Fall darf der Teilerbschein nicht eingezogen werden.
2. Vermächtnisnehmer
Rz. 35
Ist der mit einem Vermächtnis Bedachte zur Zeit des Erbfalls noch nicht gezeugt oder wird seine Persönlichkeit durch ein erst nach dem Erbfall eintretendes Ereignis bestimmt, so erfolgt gem. § 2178 BGB der Anfall des Vermächtnisses, also die Entstehung des Forderungsrechts (§§ 2174, 2176 BGB), im ersteren Falle mit der Geburt, im letzteren Falle mit dem Eintritt des Ereignisses. Konkret: Einem beim Erbfall noch nicht Gezeugten fällt das Vermächtnis mit seiner Geburt an; bis zu diesem Zeitpunkt wird es als aufschiebend bedingtes Vermächtnis behandelt, § 2179 BGB. Für den bereits erzeugten aber noch nicht geborenen Vermächtnisnehmer gilt die Rückbeziehung auf den Erbfall wie beim Erben gem. § 1923 Abs. 2 BGB; ihm fällt der Vermächtnisanspruch – rückwirkend – mit dem Erbfall an, § 2176 BGB, und zwar vorausgesetzt – wie auch dort – er wird lebend geboren.
Rz. 36
Auf eine noch nicht existente juristische Person ist § 2178 BGB für Vermächtniszuwendungen entsprechend anzuwenden. Allerdings hat § 84 BGB auch hier Vorrang; eine erst nach dem Tod des stiftenden Erblassers als rechtsfähig anerkannte Stiftung gilt für Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tod entstanden.