I. Ausgangsüberlegung

 

Rz. 8

Durch die Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 19.4.2005 sah sich der Gesetzgeber zu einer Änderung des Pflichtteilsrechts veranlasst. Dies war seinerzeit insofern überraschend, als durch diese Entscheidung dem Gesetzgeber kein zu großer Gestaltungsspielraum verblieb (siehe bereits Rdn 7). Auch wenn durch das "Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts" vom 24.9.2009[22] den seit Inkrafttreten des BGB eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung getragen werden sollte, hat man sich mit punktuellen Änderungen begnügt.[23]

[22] BGBl I S. 3142.
[23] Zu den Zielen der Reform und zum Gesetzgebungsverfahren siehe J. Mayer in der Vorauflage (3. Aufl. 2013, § 3 Rn 17 ff.).

II. Die Änderungen des Pflichtteilsrechts im Überblick

 

Rz. 9

Im Einzelnen enthielt das "Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts" vom 24.9.2009 folgende für das Pflichtteilsrecht bedeutsamen Änderungen:

(1) Durch die Änderung des § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB sollte die familiäre Pflege des Erblassers besser entlohnt werden; hierfür war – anders als nach dem damaligen § 2057a BGB – nicht mehr erforderlich, dass diese unter Verzicht auf eigenes Einkommen erfolgte. Diese Änderung, die sich zunächst primär auf die Erbausgleichung nach den §§ 2050 ff. BGB auswirkte, hat über § 2316 BGB u.U. auch ganz erhebliche Auswirkungen auf den Pflichtteil. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Bestimmung, dass sich die Vergütung i.d.R. nach den Sätzen der gesetzlichen Pflegeversicherung richten sollte, wurde ebenso wenig vom Bundestag angenommen wie die Erweiterung des Kreises der Ausgleichsberechtigten von den Abkömmlingen auf die "gesetzlichen Erben". Auch der vielfach gemachte Vorschlag, ein gesetzliches Vermächtnis für den Pflegenden anzuordnen,[24] wurde nicht übernommen.

(2) Die in § 2306 Abs. 1 BGB für die Pflichtteilsgeltendmachung enthaltene Differenzierung, ob der pflichtteilsberechtigte, aber beschwerte Erbe einen Erbteil erhalten hat, der die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils übersteigt, wurde beseitigt. Damit wurde die Rechtslage insoweit wie beim Vermächtnis (§ 2307 BGB) ausgestaltet. Anstelle der bisher teilweise eintretenden Lösung, dass die Anordnungen automatisch unwirksam sind (§ 2306 Abs. 1 S. 1 BGB), trat generell die Ausschlagungslösung: Daher kann der belastete oder beschwerte pflichtteilsberechtigte Erbe heute ohne Rücksicht auf die Höhe des ihm hinterlassenen Erbteils immer wählen, ob er die belastete oder beschwerte Erbschaft annimmt oder den Pflichtteil verlangt.[25]

(3) Änderung des § 2325 Abs. 3 BGB: Die starre Zehn-Jahres-Bestimmung wurde durch eine "Abschmelzungsregelung" ersetzt: Der für die Bemessung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs dem Nachlass hinzuzurechnende Betrag vermindert sich nunmehr für jedes volle Jahr, das zwischen Schenkung und Erbfall liegt, um 1/10 des Zugewendeten.[26]

(4) Die Stundung des Pflichtteils nach § 2331a BGB kann heute nicht nur der pflichtteilsberechtigte Erbe, sondern jeder Erbe verlangen; anstelle des Vorliegens einer "ungewöhnlichen Härte" genügt in Herabsetzung der Eingriffsschwelle eine "unbillige Härte" für die Stundung, wobei aber die Interessen des Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigen sind.

(5) Änderung des Pflichtteilsentziehungsrechts durch

Zusammenfassung der §§ 2333 bis 2335 BGB in eine Bestimmung mit Auflösung der dadurch bislang bestehenden Ungleichheiten;
Erweiterung des Kreises der betroffenen Personen, bei denen ein vom Pflichtteilsberechtigten gemachtes Fehlverhalten zur Pflichtteilsentziehung berechtigt;
Ersetzung des Pflichtteilsentziehungsgrundes des "ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels" (§ 2333 Nr. 5 BGB a.F.): Zur Pflichtteilsentziehung berechtigt stattdessen, wenn ein Pflichtteilsberechtigter wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wurde und die Nachlassteilhabe für den Erblasser deshalb unzumutbar ist. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Pflichtteilsberechtigten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird. Dabei kann die entsprechende Rechtskraft auch nach dem Erbfall eintreten.
[24] So Otte, ZEV 2008, 260.
[25] Zu den Vereinfachungen, die sich daraus für das Behindertentestament ergeben, Spall, ZErb 2007, 272 ff.
[26] Eingehend dazu G. Müller, ZNotP 2007, 445 ff.

III. Übergangsrecht

 

Rz. 10

Das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts trat am 1.1.2010 in Kraft (Art. 3 des Gesetzes). Die Übergangsregelung findet sich in Art. 229 § 23 EGBGB. Für das Pflichtteilsrecht ist dabei Abs. 4 einschlägig. Danach gelten für Erbfälle vor dem 1.1.2010 die Vorschriften des BGB in der vor dem 1.1.2010 geltenden Fassung. Dies ist unabhängig davon, ob an Ereignisse aus der Zeit vor dem Inkrafttreten dieser Vorschriften angeknüpft wird. Dies wird besonders hinsichtlich der für den Pflichtteilsergänzungsanspruch eingeführten "Abschmelzungsregelung" nach § 2325 Abs. 3 S. 1 und 2 BGB von großer praktischer Bedeutung: Maßgeblich...

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