Dr. iur. Nikolas Hölscher
1. Schutz gegen Verfügungen von Todes wegen
Rz. 34
Das Gesetz gesteht grundsätzlich nur demjenigen Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil zu, der von der Erbfolge ausgeschlossen wird. Damit bestünde die Möglichkeit, dass der Erblasser durch belastende Gestaltungen versucht, die Rechte des Pflichtteilsberechtigten einzuschränken oder gar auszuschließen. Hat der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten mit einem Erbteil bedacht, der mit den in § 2306 Abs. 1 BGB genannten Anordnungen beschränkt oder beschwert ist, kann sich der Pflichtteilsberechtigte dagegen nur dadurch wehren, dass er die Erbschaft ausschlägt, wobei er dann ausnahmsweise seinen vollen Pflichtteil erhält (§ 2306 Abs. 1 BGB). Dies gilt in den Fällen, in denen der pflichtteilsberechtigte Erbe durch Einsetzung eines Nacherben, Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung beschränkt, mit einem Vermächtnis beschwert oder lediglich als Nacherbe eingesetzt ist. Bleibt der dem Pflichtteilsberechtigten zugedachte Erbteil hinter der Hälfte seines gesetzlichen Erbteils zurück, so kann der Pflichtteilsberechtigte den Wertunterschied aufgrund eines sog. Pflichtteilsrestanspruchs verlangen (§ 2305 BGB).
Rz. 35
Hat der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten ein Vermächtnis zugewandt, so kann der Pflichtteilsberechtigte das Vermächtnis ausschlagen – wobei hier keine Ausschlagungsfrist gilt – und dann den vollen Pflichtteil verlangen (§ 2307 Abs. 1 S. 1 BGB). Nimmt er das Vermächtnis an, so kann er nur die Wertdifferenz zwischen dem Vermächtnis und dem gesetzlichen Pflichtteil verlangen, wobei hier allerdings etwaige Beschränkungen und Beschwerungen, mit denen das Vermächtnis belastet ist, in keiner Weise pflichtteilserhöhend angerechnet werden (§ 2307 Abs. 1 S. 2 BGB).
Rz. 36
Der im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratete Ehegatte hat eine weitere Möglichkeit, sich gegen eine ihm nachteilige Erbeinsetzung zu "wehren". Er kann die Zuwendung ausschlagen und dann den sog. kleinen Pflichtteil sowie den rechnerischen Zugewinnausgleich fordern (§§ 1371 Abs. 2, 2303 Abs. 2 S. 2 BGB), was besonders bei einem großen Zugewinnausgleich interessant ist. Abweichend von den sonstigen Bestimmungen verliert er ausnahmsweise durch die Ausschlagung nicht seinen Pflichtteil.
2. Schutz gegen lebzeitige Zuwendungen
Rz. 37
Bis zu einem gewissen Grad ist der Pflichtteilsberechtigte auch gegen lebzeitige Zuwendungen des Erblassers geschützt. So gewähren ihm die §§ 2325 ff. BGB einen, wenn auch zeitlich und sachlich begrenzten, Schutz gegen Schenkungen. Dieser steht jedoch grundsätzlich unter der Zeitgrenze von zehn Jahren (§ 2325 Abs. 3 BGB), die jedoch dann nicht gilt, wenn die Schenkung an einen Ehegatten erfolgt oder der Erblasser sich die wesentliche Nutzung noch vorbehalten hat (siehe § 7 Rdn 173 ff.).
Rz. 38
Einen weiteren, wenn auch eingeschränkten Schutz gegen lebzeitige Zuwendungen kann auch der Ausgleichspflichtteil nach § 2316 BGB gewähren, indem gewisse Vorempfänge zu einer Erhöhung des Pflichtteilsanspruchs derjenigen Abkömmlinge führen, die zu Lebzeiten weniger erhalten haben.